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Der brave Felix

Vor langer, langer Zeit wurde in einer oberschlesischen Erzgrube eine neue Strecke getrieben. Das Gestein war aber so fest, dass selbst die geschicktesten Arbeiter nichts ausrichten konnten und schließlich der Betrieb dieses Ortes ganz eingestellt werden musste.

Bald darauf legte der Steiger einen neuen jungen Hauer an, der über seine Führung und Arbeitstüchtigkeit die besten Zeugnisse von den früheren Zechen besaß. Ihm schilderte er die Schwierigkeiten jener Arbeit und fragte ihn, ob er es sich getraue, an dieselbe zu gehen.

Felix, der junge Hauer, zauderte nicht. Er hatte guten Mut und frohen Sinn, nahm Fäustel und Bohrer und begab sich flugs zu der neuen Strecke. Hier setzte er sich hin, zog seinen Brotbeutel hervor und begann zu frühstücken.

Wenn die Arbeit hier wirklich so außerordentlich schwer sein soll, dachte er, dann muss man auch mit außerordentlichen Kräften daran gehen. Deshalb will ich auch mein Butterbrot gleich verzehren. Und er ließ es sich gut schmecken.

Wie er nun so saß und aß, kam von ungefähr ein Mäuschen herangeschlichen, setzte sich vor ihm auf die Hinterbeinchen und sah ihn mit seinen klugen, kleinen Augen so bittend an, als wollte es fragen: »Hast du auch einen Bissen für mich?«

Dem Hauer machte das zutrauliche Tierchen Spaß. Er warf ihm einen Brocken Brot vor, den es hastig verzehrte. Dann schien es wieder um einen zweiten zu bitten. Und Felix gab ihm bei jedem Bissen, den er selbst nahm, ein Bröckchen mit. Als er aber nichts mehr hatte, und das Mäuschen seinen Platz und die bittende Stellung nicht verließ, da lächelte Felix.

»Ja, liebes Tierchen«, sagte er, »jetzt habe ich selbst nichts mehr, so gern ich’s dir auch gäbe. Glaub’s wohl, dass du hier unten tüchtig durchhungert bist. Komm morgen wieder hierher, dann sollst du abermals etwas bekommen, wenn mir nicht eine ganz und gar erfolglose Arbeit das Wiederkommen verleidet.«

Plötzlich war das Mäuschen verschwunden, und an seiner Stelle stand ein Gnom, ein winziges Männchen.

»Deine Arbeit«, sprach dieser, »wird nicht erfolglos sein! Du hast mit mir deine Mahlzeit geteilt, ich will nun mit dir auch deine Arbeit teilen. Aber du musst mir, da ich von heute ab dein steter Gehilfe bleiben will, bei jeder Löhnung die Hälfte des Verdienstes abgeben. Ich werde dich zu diesem Zwecke auf der zweiten Fahrt oben im Schacht erwarten.«

Und wieder war die Maus da. Sie beschnüffelte behend das Gestein im Ortsstoß und bohrte sich dann mit so großer Geschwindkeit mit Zähnchen und Beinchen hinein, dass, ehe es sich Felix versah, 6 Löcher von je ½ Lachter Tiefe fertig waren.

Da stand nun wieder bei Gnom vor ihm. »So, nun besetz die Löcher und tu sie weg«, sprach er. »Ausarbeiten brauchst du nicht, denn Stöße, Firste und Sohle werden spiegelblank sein. Schaff du nur dann die Berge fort und mach Schicht. Morgen komme ich wieder. Glück auf!«

Bevor Felix diesen Gruß erwidern konnte, war das Männchen verschwunden. Es dauerte geraume Zeit, bis er sich von seinem Staunen erholt hatte. Dann besetzte er alle Löcher und tat sie zu gleicher Zeit weg.

Als sich der Pulverdampf verzogen hatte und Felix wieder vor Ort kam, fand er die Strecke um ½ Lachter weitergetrieben, und Stöße, Firste und Sohle so eben, als ob sie vom Bildhauer mit dem Meißel bearbeitet worden wären.

Erfreut über diesen guten Erfolg seiner ersten Schicht nahm Felix, obwohl er vor Kurzem erst eingefahren war, seine Lampe zur Hand und fuhr wieder aus, um vom Steiger einen Schlepper zum Fortschaffen der Berge zu erbitten.

Als der Steiger den jungen Hauer auf sich zukommen sah, rief er ihm verdrießlich entgegen: »Nun, hast auch du schon die Lust zum Arbeiten in der verwünschten Strecke verloren? Es ist das doch eine ganz verteufelte Geschichte! Mir scheint es, der Berggeist treibt dabei sein Spiel.«

»So scheint es mir auch«, entgegnete lächelnd Felix, »aber ich habe deshalb die Lust zum Arbeiten durchaus nicht verloren, sondern im Gegenteil um so mehr Lust bekommen. Ich bin nur hier, um Sie um einen Schlepper zu bitten, der mir die Berge fortschaffen hilft. Denn gleich mit den ersten Schüssen habe ich so viel Berge gemacht, daß ich nicht weiter arbeiten kann, solange diese nicht fort sind.«

»Wa … was … Schüsse?«, stieß überrascht und ungläubig der Steiger hervor. »Hast du denn überhaupt schon ein Loch gebohrt?«

»Ein Loch? Ha ha ha! Sagen Sie sechs Löcher, Herr Steiger, und alle haben ausgezeichnet gerissen! Die Strecke ist um ½ Lachter weiter und Stöße, Firste und Sohle so schön glatt und sauber, als ob man im Letten führe.«

Der Steiger trat bei dieser Erklärung unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Sechs Löcher in diesem eisenfesten Gestein, von je ½ Lachter Tiefe, und du bist kaum 3 Stunden unten gewesen? Das muss ja mit dem Teufel zugegangen sein!«

»Mit dem Teufel gerade nicht, aber …«

»Aber …?«

»Schicken Sie mir nur einen Schlepper, Herr Steiger, und wenn es Ihnen gefällt, dann fahren Sie mit ein und nehmen Sie meine Arbeit selbst in Augenschein.«

Der alte Mann schüttelte nachdenklich den Kopf, beauftragte einen Schlepper mit bei Förderung von Felix’ Ort und fuhr mit diesem selbst ein.

Er fand alles, wie es der Knappe berichtet hatte, aber er wurde auch in seiner Überzeugung bestärkt, dass hier höhere Gewalten mit im Spiel ständen. Er bekam dadurch eine gewisse ehrfurchtsvolle Scheu vor Felix. Weit entfernt jedoch, wie andere furchtsame Leute es taten, ihm auszuweichen, suchte er im Gegenteil durch ihn Vorteil für die Zeche zu gewinnen. Die Strecke war in kurzer Zeit beendet und man beauftragte Felix nun mit Bohrversuchen.

Das Mäuschen zeigte sich auch hier tätig. Wenn Felix auf freiem Feld eine geeignete Stelle zum Ansetzen des Bohrloches aussuchte, dann bezeichnete ihm das Mäuschen dieselbe, indem es da von unten herauf die Erde aufwarf wie ein Maulwurf. Hier stieß man denn auch immer in kurzer Zeit auf ein reichhaltiges Erz.

Der Steiger, immer mehr überzeugt von dem Eingreifen geheimer Mächte in die Arbeiten des glücklichen Hauers, veranlasste, dass diesem für die ungeheuren Dienste, die er durch die Aufdeckung der neuen Erzlager der Gewerkschaft erwiesen hatte und noch erweisen sollte, einige Freikuxe gegeben wurden.

Felix verdiente auf diese Weise sehr viel Geld, und da er als unverheirateter, solider Mann nur sehr wenig für seine eigene Person brauchte, konnte er den größten Teil seines Einkommens sparen. Am Löhnungstag aber, sobald er sein Geld erhalten hatte, schlüpfte er, unbemerkt von seinen Kameraden, in den Fahrschacht hinunter. Auf der zweiten Fahrt erwartete ihn der Gnom, welcher schon vorher ein langes Brett quer über das offene Fördertrum gelegt hatte. Auf dieses Brett setzten sie sich auf des Gnoms ausdrückliches Verlangen rittlings, das Angesicht einander zugekehrt, die Beine in den finsteren Schacht hinunterhängend, und zählten das Geld, das zwischen ihnen lag, um es zu teilen.

Bei einer solchen Gelegenheit blieb einmal ein Dreier übrig, den Felix ruhig liegen ließ.

»Nun, teile doch!«, forderte der Gnom.

»Teilen? Das geht ja nicht, deshalb behalte du den Dreier. Ich habe ja doch alles, was ich besitze, dir zu verdanken, und deshalb hast du ein Anrecht auf diese unteilbare Münze.«

»Das war ein Wort, wie ich es schon lange nicht gehört habe«, sagte erfreut der Gnom. »Du sprachst es zu deinem Glück, denn hättest du die Münze für dich behalten, so lägst du jetzt, wie schon viele vor dir, zerschmettert unten im Schacht.«

»Meine Aufgabe war es, einen Menschen zu suchen, der reinen Herzens ist, ohne Selbstsucht, ohne Habgier, um durch ihn der Menschheit nützen zu können. Ich hatte bisher vergebens gesucht. All die kleinen Manöver, die ich mit dir angestellt habe, dienten nur dazu, dein Herz zu prüfen. Deine Vorgänger unterlagen dieser Prüfung. Es zeigte sich, dass sie durch das viele Geld so habgierig geworden waren, dass sie selbst den »Dreier« hier für sich allein beanspruchten. Dann war’s natürlich mit ihnen vorbei, denn sie hatten nicht in gleiche Hälften geteilt. Du aber hast die Prüfung ehrenvoll bestanden, und du sollst von nun an das Werkzeug sein, wodurch ich der Menschheit nützen will. In deiner Wohnung wirst du all das Geld finden, das bisher auf meinen Teil gefallen war. Es gehört dir, und du musst jetzt mit dem deinen zusammen eine sehr große Summe haben. Höre jetzt ganz auf zu arbeiten. Die Kuxe, die du besitzest, werden dir, dafür lass mich sorgen, dein Vermögen in Kurzem verzehnfachen. Aber wende dasselbe nur zum Wohle der Menschen an. Bedenke, dass der Genuss, den du dir damit verschaffen könntest, vergänglich und eitel ist. Ich werde stets in deinen Nähe sein, und wenn es nötig ist, dir hilfreich meine Hand bieten. Glück auf!«

Nachdenklich fuhr Felix zutage. Er war sich der Erhabenheit seiner Mission wohl bewusst und zauderte nicht, sie zu beginnen. Er spendete an Arme und Kranke, an die Hinterbliebenen verunglückter Bergleute mit vollen Händen reichliche Gaben. Er gründete Schulen und Hospitäler und war für das Volk bis zu seinem späten Tod der gute Engel.

Quelle: Friedrich Wrubel, Sammlung bergmännischer Sagen, 1883