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Rudolph von Habsburg

Während der wilden Zeit des Interregnums herrschte in Deutschland nur Schrecken und Verwirrung. Die Raubritter plünderten und mordeten den ruhigen Bürger ungestraft, denn es waltete weder Recht noch Gesetz mehr im Lande, die rohe Gewalt war an ihre Stellen getreten. Da wählten die Fürsten zu Frankfurt am Main den Grafen Rudolph von Habsburg aus dem Schweizerlande zum Kaiser, damit er mit kräftiger Hand der unseligen Zeit ein Ende machen und Gesetz und Ordnung wieder herstellen möge.

Am 24. October des Jahres 1273 wurde Rudolph nebst seiner Gemahlin Anna zu Aachen mit ganz ungewöhnlicher Pracht und Herrlichkeit gekrönt. Nach den Chronikenschreibern waren bis auf drei Meilen von der Stadt am Tage vor dem Feste die Landstraßen mit Wagen, Reitern und Fußgängern so bedeckt, daß man wegen des Gedränges oft Halt machen mußte. In der Stadt selbst war kein Unterkommen mehr zu finden. Die Festlichkeiten bei der Krönung übertrafen an Glanz und Feierlichkeit, bei weitem Alles, was man bei frühern Krönungen je erlebt hatte. Gott selbst gab auch ein Zeichen, daß ihm diese Wahl wohlgefällig sei, denn während der Krönung zeigte sich über dem Münster ein glänzendes, goldenes Kreuz in den Wolken.

Es begab sich ferner, daß nach der Krönung im Münster, als die Großen des Reiches nach alter Sitte und Herkommen dem neuen Kaiser den Eid der Treue auf das Reichszepter schwören sollten, dasselbe nicht vorhanden war. Ohne Zögern nahm daher Rudolph das Kruzifix vom Altar und sprach: „Dieses ist das Zeichen der menschlichen Erlösung, dessen ich mich wider Alle und jeden bedienen will, die mir und dem Reiche untreu sein sollten.“ Hierauf schworen alle Fürsten ihm auf das Kruzifix den Eid der Treue.

Nach der kirchlichen Feier folgte dann auf dem Kaisersaale, der heute noch in seiner ursprünglichen Größe besteht, und bald auch in seiner alten Pracht hergestellt sein wird, das Festmahl, wobei die sieben Kurfürsten den Kaiser bedienten. Während des Mahles äußerte Rudolph seine volle Zufriedenheit über alle getroffene Anordnungen, sowie über den Glanz und die Pracht des Mahles, allein er wollte es nicht verschweigen, daß er bei aller Herrlichkeit doch etwas vermisse, was er selbst als Graf bei großen Festen nicht entbehrt habe, einen Sänger nämlich, der mit Harfenklang und schönem Gesange, das Mahl erst recht würze. Sieh! da trat in langem, faltigem Talare ein Sänger in den Saal, er nährte sich ehrerbietigst dem Kaiser und sang dann von süßen Tönen der Harfe begleitet, folgendes Lied:

„Auf's Waidwerk hinaus ritt ein edler Held,
Den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß,
Und als er auf seinem staatlichen Roß
In eine Au kommt geritten,
Ein Glöcklein hört er erklingen fern,
Ein Priester wars mit dem Leib des Herrn,
Voran kam der Meßner geschritten.“

„Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
Das Haupt mit Demuth entblößet,
Zu verehren mit gläubigem Christensinn
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluthen geschwellt,
Das hemmte der Wanderer Tritte,
Und beiseit' legt jener das Sakrament,

Von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
Damit er das Bächlein durchschritte.“
„Was schaffst du?“ redet der Graf ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
Im Strudel der Wellen gerissen.
Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil,

So will ich das Wässerlein jetzt in Eil
Durchwaten mit nackenden Füßen.“
„Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd,
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein begehrt
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Thier
Vergnüget noch weiter des Jagens Begier,

Der andre die Reise vollführet,
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick
Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
Bescheiden am Zügel geführet.“
„Nicht wolle das Gott, rief mit Demuthssinn
Der Graf, daß zum Streiten und Jagen
Das Roß ich beschritte fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!

Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,
So bleibt es gewidmet dem göttlichen Dienst,
Denn ich hab es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehen trage und Leib und Blut
Und Seele und Athem und Leben.“
„So mög' euch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,

Zu Ehren euch bringen hier und dort
So wie ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland,
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
Sechs Kronen euch bringen in euer Haus
Und glänzen die spätsten Geschlechter!“

Während dieses Gesanges saß der Kaiser da ernst und nachdenkend wie in Träumen verloren, nachdem er aber dem Sänger fest ins Auge gesehen hatte, rollten ihm Thränen über die Wangen und er verhüllte mit seinem Purpur-Mantel das Antlitz. Der Sänger, der vor ihm stand, war der Priester, dem er einst sein Roß geliehen, und der mit dankbarem Herzen und hoher Verehrung für den Kaiser aus der Schweiz gen Aachen gezogen war, um Zeuge zu sein, wie Gott den Demüthigen erhebet und mit Ehre und Ruhm lohnt.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858