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Karls Tod

Von den ältesten Zeiten her war es ein tief Eingewurzelter Volksglaube, daß dem Tode großer und ausgezeichneter Männer Ereignisse voran gehen müßten, die sein Scheiden aus dieser Welt ankündigten. Wie sollte nun Karl, ein Kaiser, wie vor ihm an Tapferkeit und Frommsinn, an Macht und Glanz noch keiner gelebt, der das Staunen aller seiner Zeitgenossen in allen Welttheilen mit Recht erregte, in die Gruft steigen, ohne daß sich Zeichen seines Heimganges kund geben sollten? Sein treuer Freund und Geheimschreiber Eginhard gibt uns darüber die vollständigsten Nachrichten. Des Kaisers sonst kräftige Gesundheit fing in seinem 71. Lebensjahre an zu wanken und das von ihm stets mit Erfolg angewendete Mittel, das Unwohlsein auszuhungern, weil er ein Feind aller Arzneien war, wollte nicht mehr ausreichen. Die Befürchtungen um sein Leben waren im Volke und am Hofe schon lange vorhanden.

In den letzten drei Jahren hatte die Sonne und der Mond sich ungewöhnlich oft verfinstert. In der Sonne sah man sieben Tage lang einen großen, schwarzen Flecken; ein gewaltiger Blitzstrahl rieß die vergoldete Kugel vom Münster fort und schleuderte sie weit weg. Am Christi Himmelfahrtstage 813 stürzte der verdeckte Gang, welcher von seinem Pallaste ins Münster führte bis auf die Grundmauer zusammen. In demselben Jahre vernichtete eine unerklärliche Feuersbrunst die herrliche Rheinbrücke bei Mainz, deren Bau zehn Jahre der gewaltigsten Arbeit gekostet hatte. Im Pallaste selbst krachte das Gebälke und Getäfel der Zimmer bei Tag und bei Nacht.

Als sicherster Vorbote von dem Tode des Kaisers galt aber folgende Erscheinung. Im Octogon des Münsters stand in der Runde über den Pfeilern eine Inschrift in lateinischer Sprache, welche Karl als Gründer und Erbauer desselben verherrlichte und mit den Worten: „Princeps Carolus“ endete. Wenige Monate vor dem Tode fing nun aber das Wort „Princeps“ an zu erbleichen und endlich erlosch ein Buchstabe des Wortes nach dem andern bis es gänzlich verschwunden war. So weit geht die Legende.

Die Geschichte lehrt uns, daß Karl der Große, vom Erzbischof Hildebold von Köln zum Tode vorbereitet, am 28. Januar 814 als Held starb, wie er gelebt, sanft und ruhig ergeben in Gottes heiligen Willen. Er wurde einbalsamirt und im Münster zur Gruft getragen.

Hier saß er aufrecht auf einem goldenen Stuhle in seiner Königlichen Kleidung mit Krone, Zepter und Schwert und der goldenen Pilgertasche, die er stets nach Roun mitzunehmen pflegte. Unter seiner rechten Hand hielt er das Evangelienbuch, welches auf seinen Knien ruhte. So saß der Kaiser noch da, als im Jahre 1000 Otto III. das Grab öffnen ließ.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858