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Der Ring der Fastrada

Fastrada die Tochter des fränkischen Grafen Radolph, war die dritte Gemahlin Karls des Großen. Er vermählte sich mit ihr zu Worms im Jahre 783. Obgleich dieselbe der zweiten Gemahlin des Kaisers, der frommen Hildegard an Herzensgüte und andern Tugenden weit nachstand, so hatte sie doch durch ihre blendende Schönheit und ihren heitern und aufgeweckten Geist des Kaisers Herz im höchsten Grade gefesselt. Ihre Wünsche waren ihm Befehle, selbst die Unruhen, Zwistigkeiten und Feindschaften, welche sie wiederholt am Hofe veranlaßt hatte, konnten die Liebe und Anhänglichkeit desselben für seine Fastrada nicht schwächen, viel weniger erschüttern.

Der sonst so ernste und fromme Kaiser verehrte sie fast wie ein überirdisches Wesen, während andere sie stolz und übermüthig nannten. Er war in ihrer Liebe beglückt und ahnte nicht, wie bald der Tod ihm die blühende Gattin von der Seite reißen werde. Sie starb zu Frankfurt am Main im Jahre 794. Der Schmerz des Kaisers war namenlos.

Die männliche Fassung und Besonnenheit, welche man an ihm in traurigen und mißlichen Verhältnissen gewohnt war, schienen ihn gänzlich verlassen zu haben. Er gab sich dem Schmerze in dem Maaße hin, daß man in Sorge gerieth, er möchte den Verstand verlieren. Er wollte den entseelten Körper nicht verlassen und bemühte sich die Todte zu wecken und ihr mit den süßesten und zärtlichsten Namen zu rufen. „Sie ist nicht todt, sie schläft ja nur“ rief er mit lauter Stimme, indem er bald die Leiche, bald die Umstehenden anstierte. Tag und Nacht kniete er neben ihrem Lager und wollte weder Speise noch Trank zu sich nehmen.

Zornig und gebieterisch wies er diejenigen ab, welche davon redeten, die Leiche zur Erde zu bestatten, immer behauptend, Fastrade schlummere ja nur und werde bald erwachen. Selbst der fromme Erzbischof Turpin von Rheims, der Erste in des Kaisers Rath, der sonst sehr viel über ihn vermochte, wendete vergebens alle Mittel an, um denselben von dem Tode der Fastrada zu überzeugen und die Einwilligung zu erlangen, die Leiche zu beerdigen.

Die Sorge um des Kaisers Gesundheit und Leben wurde bei Allen immer größer und beängstigender, nur der Himmel konnte Rettung senden, daher flehte denn Turpin und der ganze Hof mit inbrünstigem Gebete zu Gott, daß er sich des trostlosen Kaisers erbarmen möchte. Da hatte nun Turpin ein Traum gesicht, welches ihm den Zauber enthüllte, der des Herrschers Geist und Gemüth fesselte. Er sah nämlich einen Ring, welcher in den schönen Haarflechten der Kaiserin sorgsam versteckt war. Der Bischof vermuthete, daß dieser Ring es sei, dem der Zauber innewohne, und der den geliebten Herrn an die Abgeschiedene noch gekettet hielt.

Am folgenden Morgen verrichtete Turpin schon in aller Frühe seine Andacht und dankte Gott für das Traumgesicht, trat dann zur Leiche, fand den Ring, sowie er ihn im Traume gesehen hatte und nahm denselben, ohne daß der Kaiser es bemerkte, zu sich. Sobald der Ring im Besitze des Prälaten war, erwachte Karl wie aus einem schweren Traume, er erkannte mit Schauder die Wirklichkeit, die ihn umgab, er sah, daß er die schöne Fastrada verloren hatte, allein er wußte sich mannhaft zu fassen und war empfänglich für die Tröstungen, welche Turpin ihm ertheilte. Weinend stürzte er in seine Arme und trennte sich willig von dem theuern Leichname.

Er befahl, daß die irdischen Reste Fastradas mit allem, einer Kaiserin würdigen Gepränge, in Gold und Purpur gehüllt in feierlichem Trauerzuge von Frankfurt nach Mainz geführt werde. Dort wurde sie in der Abtei von St. Alban zur Gruft gebracht, wo Karl zu ihrem Andenken ein herrliches Grabmal errichten ließ. Zur Freude aller Bewohner stieg der Kaiser bald wieder zu Pferd und durchritt die Straßen Frankfurts, wo ihn überall lauter Jubel empfing. Die Geschäfte des Reiches hatten sich indessen sehr angehäuft und riefen ihn dringend nach anderen Orten, so zog er denn gegen Ingelheim, wo er sich mit neu belebtem Eifer den Reichs-Obliegenheiten hingab und dadurch den Schmerz über den Tod seiner unvergeßlichen Gattin zu lindern suchte.

Dorthin begleitete ihn auch der treueste seiner Räthe Turpin, ohne den er jetzt nicht mehr sein noch leben konnte. Dieser fromme und gelehrte Prälat hatte zwar immer beim Kaiser in hohem Ansehen und großer Achtung gestanden, allein seitdem derselbe im Besitze des Zauberringes war, wurde die Zuneigung Karls zu demselben mit jedem Tage stärker und mächtiger. Diese außergewöhnliche Anhänglichkeit des Kaisers benutzte der Erzbischof nun zwar in sehr uneigennütziger Weise zum Frommen der Kirche und des Staates, ohne für sich persönlich einen Vortheil daraus zu ziehen, allein dieselbe fing allmählig an, ihm unangenehm, drückend und lästig zu werden, denn er wußte ja, daß nur ein böser Zauber der Grund davon war.

Turpin beschloß daher, sich dieses Talismannes auf irgend einer Weise zu entledigen. Als er daher mit dem Kaiser in Aachen längere Zeit verweilte und er eines Tages an dem stillen See stand, welcher das Jagdschloß desselben in der Nähe der Stadt umgab, brachte er den längst gefaßten Entschluß zur Ausführung und versenkte den Zauberring in denselben.

Bis dahin hatte sich der Kaiser schon gern in Aachen aufgehalten, von jenem Tage an wurde diese Stadt aber sein Lieblingssitz, wovon er sich nur trennte, wenn wichtige Reichsangelegenheiten ihn in andere Gegenden riefen. Mit besonderer Lust und Wonne verweilte er aber auf dem Jagdschlosse, dessen glatter See das geheimnißvolle Kleinod barg; mochte er noch so fern sein, es zog ihn immer ein mächtiger Zauber zu dieser Stätte hin.

Bis in die spätesten Tage seines Lebens zog sich der Kaiser häufig an diesen Ort der Einsamkeit von den immer drückender werdenden Regierungsgeschäften zurück. Hier saß er oft Stundenlang in den dichten Laubgängen am See und überdachte sein sturmbewegtes, thatenreiches Leben, und überschaute die wilden Schlachten, die er geschlagen und die glänzenden Siege, die er überalle Feinde davongetragen hatte. Gewiß hat er aber auch seiner Fastrada oft gedacht und sich des Glückes mit Wehmuth erinnert, das er einst an ihrer Seite genoß.

Das Jagdschloß, wo dies geschah, steht heute noch und heißt die Frankenburg oder Frankenberg, die Teiche, welche dasselbe umgeben, hegen in ihrer Tiefe den Wunderring, welchen Turpin ihnen anvertraute. Wenn der Frühling wiederkehret, die Bäume sich mit frischem Laub schmücken, junge Blüthen duften und die Nachtigallen dort am Bach im Felsgestein seufzen, dann wird auch jetzt noch mancher Wanderer dort mit Zaubergewalt hingezogen, um manchen Kummer des Lebens in der Betrachtung Gottes schöner Natur zu vergessen.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858