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Die tugendhafte Hildegard

Karls zweite Gemahlin war die fromme Hildegard von edler schwäbischer Herkunft. Sie gebar dem Kaiser drei Söhne: Karl, Pipin und Ludwig und eben so viele Töchter Rotrude, Bertha, Gisela. Wegen ihrer Leutseligkeit und ihres erbaulichen und gottesfürchtigen Wandelsstand sie überall in hoher Achtung und dennoch gelang es dem gottlosen Taland, einem Stiefbruder Karls, sie in schändlichster Weise zu verläumden und des Kaisers Eifersucht in dem Grade zu erregen, daß er sie verstieß und die schwersten Strafen über sie verhängte.

Als Karl nämlich gegen die ungestümmen, wilden Sachsen in den Krieg zog, übertrug er Taland die Statthalterschaft zu Aachen. Derselbe hegte aber zu der tugendhaften Hildegard unlautere Begierden, die er schamlos genug war, ihr offen an den Tag zu legen. Sie wieß indessen sein schnödes Ansinnen mit gerechter Entrüstung und tiefer Verachtung zurück und suchte seine Gegenwart auf alle mögliche Weise zu vermeiden.

Da aber Taland seine verbrecherische Gedanken nicht fahren ließ, vielmehr stets auf neue Listen und Ränke sann, um sich der Kaiserin zu nähern und fortfuhr sie mit ungestümmen Zudringlichkeiten zu behelligen, so blieb ihr kein anderes Mittel übrig, als sich durch ein kühnes Wagniß seinen Verfolgungen zu entwinden. Sie zeigte sich nämlich eines Tages recht freundlich gegen ihn und erweckte in ihm die Hoffnung, als werde sie endlich seinen Wünschen nachgeben. Diese Erwartung wurde in seinem Sinne aber zur nahen Wirklichkeit gesteigert, als die Kaiserin ihm auftrug, drei Zimmer in einem abgelegenen Theile des Pallastes für sie herrichten zu lassen und dieselben mit wohl verschließbaren Thüren zu versehen. Sobald die Gemächer fertig seien, wolle sie dieselben nur von Taland begleitet, in Augenschein nehmen.

Nach wenigen Tagen schon theilte er der Kaiserin mit, daß ihr Befehl ausgeführt und die bewußten Räumlichkeiten eingerichtet seien. Sie bezeichnete daher Tag und Stunde, in der Taland ihrer in dem hintersten der drei Gemächer harren sollte. Zur bestimmten Zeit erschien sie wirklich ohne alle Begleitung in den Gemächern und der böse Schalk war nun seines Sieges gewiß. Allein wie bitter sah er sich getäuscht, denn als die Kaiserin sich dem dritten Gemach näherte, ergriff sie plötzlich die Thüre, warf dieselbe mit Heftigkeit zu, verschloß und verriegelte sie und eilte nachdem sie in gleicher Weise die beiden andern Thüren sorgsam verschlossen hatte, in ihre Behausung zu rück, wo sie Gott inbrünstig dafür dankte, daß er ihr Kraft und Stärke verliehen habe über den Frevler zu siegen und ihre Unschuld zu wahren. Wuthschnaubend erkannte Taland jetzt, daß er von einer Frau überlistet worden sei und er sich selbst sein gut verschlossenes Gefängniß eingerichtet habe.

Hier sollte er bis zur Heimkehr des Kaisers seine beabsichtigte Schandthat büßen, zur Zeit wollte Hildegard ihrem Gemahle dann das Vorgefallene treulich mittheilen, damit er selbst über den Gefangenen das Urtheil fälle. Als aber die frohe Botschaft erscholl: die Sachsen seien vollständig besiegt, ihre Anführer und Tausende der Ihrigen hätten die heilige Taufe empfangen und Karl werde ruhmbekränzt in wenigen Tagen nach Aachen zurückkehren, da wollte denn die edelmüthige und weichherzige Hildegard dem Kaiser die Freude über den Sieg durch die Kunde eines erlittenen Schimpfes in seinem Pallaste nicht vergällen und beschloß daher, den Taland vor seiner Heimkehr der Haft zu entlassen und dem Kaiser die traurige Mähr zu verschweigen, in der Voraussetzung, dem Freigelassenen werde am meisten daran gelegen sein, daß seine Schandthat nicht vor den Gebieter kommen möchte.

Die tugendhafte Frau bedachte nicht, daß derjenige, welcher das Laster verheimlicht, dem Lasterhaften Vorschub leistet und oft selbst dadurch das Opfer der Bosheit wird. Taland hatte in seiner einsamen Haft nur auf Rachepläne gegen die Kaiserin gedacht und beeilte sich dieselben alsbald ins Werk zu setzen. Er erzählte dem Kaiser schändliche Geschichten von geheimen Buhlschaften, welche Hildegard während seiner Abwesenheit gepflogen habe. Weil er aber ihren Lebenswandel treulich überwacht, so habe sie ihn einkerkern lassen, um ihr Unwesen desto ungestörter treiben zu können. Er sei erst vor wenigen Tagen in Freiheit gesetzt worden in der Voraussetzung, er werde das Herz des Kaisers durch die Mittheilung von der Untreue seines Weibes nicht betrüben wollen, allein die Pflicht gegen den Gebieter und seine treue Anhänglichkeit an denselben zwängen ihn zu dem Bekenntniß des dem Kaiser zugefügten Schimpfes. Der ganze Hof sei Zeuge seiner geheimen Gefangenhaltung.

Darob entbrannte Karl Zorn in lichten Flammen, er verstieß Hildegard von seiner Seite und verwies sie auf ewig bis zu den äußersten Marken des Landes und verordnete diesen strengen Befehl sofort auszuführen. Die unschuldig Verstoßene eilte zu ihrer Schwester, der Gräfin Adelinde in Schwaben, welche sie, von ihrer Unschuld überzeugt, freundlich aufnahm. Später begab sie sich nach Rom, wo sie unerkannt in Gottes heiligen Willen ergeben mit allem Eifer den Uebungen christlicher Tugenden oblag. Hier widmete sie sich auch der Krankenpflege und erwarb sich bald einen großen Ruhm in der Heilung der hartnäckigsten Augenübel.

Der Ruf von ihren glücklichen oft wundersamen Kuren verbreitete sich weit über Italiens Grenzen hinaus und war auch in Aachen nicht unbekannt geblieben. Taland hatte nach der Verbannung Hildegards keine heitere Stunde mehr, denn sein Gewissen war erwacht und folterte ihn jetzt Tag und Nacht, dazu waren noch mancherlei körperliche Gebrechen getreten und unter andern auch ein heftiges Augenleiden, welches mit völliger Blindheit zu drohen schien.

Da nun Karl wichtiger Geschäfte wegen nach Rom reisen mußte, so bat der unglückliche Verläumder denselben, ihn doch dahin mitzunehmen, ob er vielleicht dort Heilung fände. Der Kaiser wollte ihm diese Bitte nicht abschlagen, obgleich die Aerzte der Meinung waren, daß eine Herstellung der Augen Talands unmöglich sei. So zog der fast Erblindete mit nach Rom um Hilfe und Trost bei derjenigen zu suchen, die er mit Schmach und Unehre überhäuft, mit Schimpf und Schande aus der Heimath verbannt hatte. So wunderbar sind Gottes Wege. Taland hatte das Glück seine Augen in nicht gar langer Frist vollkommen hergestellt zu sehen und sich auch sonst einer guten Gesundheit zu erfreuen.

Karl, der diese wunderbare Heilung sah, wünschte sehnlichst die kenntnißreiche und, wie er vernommen hatte, ebenso bescheidene und fromme Frau persönlich kennen zu lernen und berief sie daher zu sich. Dieselbe erschien von Kummer gebeugt, doch frei und offen, würdevoll und ernst vor dem Kaiser. Welcher Schrecken und welch Erstaunen ergriff ihn aber in diesem Augenblicke! Er erkannte sogleich in dieser Frau seine einst so heiß geliebte Hildegard, die Mutter seiner Kinder, die er ungehört verurtheilt und verstoßen hatte.

In dem schlichten Gewande der Wahrheit erzählte sie Karl nun die ganze Geschichte, welche sich mit Taland zugetragen hatte. Bittere Reue ergriff das Herz des Kaisers, denn er erkannte die Unschuld seiner treuen Gattin und das große Unrecht, welches er gegen sie begangen. Er sah die Verruchtheit und Verworfenheit des Verläumders ein und verurtheilte ihn, nachdem er seine Schuld bekannt hatte, zum Tode. Hildegard wurde aber die Fürsprecherin ihres Feindes und Verfolgers und bewirkte beim Kaiser, daß die Todesstrafe in Verbannung gemildert wurde. Karl nahm seine Hildegarde als treue Gattin wieder auf und kehrte hochentzückt und unter dem Zujauchzen der Menge mit ihr in Aachen wieder ein.

Aus Dankbarkeit zu Gott, der ihre Unschuld so wunderbar an den Tag gebracht und ihre Ehre wieder hergestellt hatte, stiftete sie im Jahre 773 das Kloster Kempten. „Wie unerforschlich, sprach sie oft, sind die Rathschlüsse der Vorsehung! Der Herr bediente sich desselben Werkzeuges, was mich um Ehre und Dasein bringen wollte, um mir die Ehre wiederzugeben und mich ins Leben zurückzuführen. Sein Namen sei gepriesen immer dar!“

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858