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Die Klappergasse

Siegreich kehrte Karl der Große aus dem Kampfe mit den Sachsen nach Aachen zurück. Er hatte diese Heiden in vielen Schlachten gänzlich besiegt und was mehr war, das ganze Volk mit seinen Heerführeren bekehrt und zu Christen getauft.

Zu Aachen erwartete ihn eine nicht minder große Freude, denn er fand, wie er es sehnlichst gewünscht hatte, das Münster im Baue vollendet. Was im Innern noch fehlte an Kirchen-Gewändern von Sammt und Seide, sowie an heiligen Gefäßen von Gold und Silber zur Ausübung des Gottesdienstes, das schaffte der fromme Kaiser mit verschwenderischer Pracht und in überreicher Fülle schnell herbei. In seiner Hofhaltung war er schlicht und einfach, zu großen Festgelagen und für Kleiderpracht verwendete er nur wenig, wenn es sich aber um Ausgaben handelte zur Ehre Gottes, so scheute er keinen Aufwand und waren ihm keine Summen zu groß, die er nicht mit freudigem Herzen hergegeben hätte. Den so reich ausgestatteten Tempel wünschte er nun aber auch sobald als möglich mit allem Glanze eingeweiht zu sehen.

Auf die Einladung des Kaisers erschien im Jahre 804 Pabst Leo III. zu diesem Zwecke in Aachen. Alle hohen Würdenträger des Reiches, Fürsten und Grafen, Bischöfe und Prälaten von fern und nahe, waren zu dieser Feier hieher gekommen. Ein Wunsch des Kaisers schien nicht erfüllt werden zu können, nämlich der, bei der Einweihungsfeier 365 Bischöfe, also so viele, als Tage im Jahre sind, in Aachen anwesend zu sehen. Es fanden sich am Vorabend der Feier deren 363 ein, so daß an der Zahl nur zwei fehlten.

Gott selbst aber wollte dem hochherzigen Kaiser eine Freude machen und ließ folgendes Wunder geschehen.

In dem Gewölbe der St. Servas-Stifts Kirche zu Mastricht ruhten die beiden heiligen Bischöfe Monulph und Gondulph. In der Nacht vor der Einweihung des Münsters erschien in genannter Kirche ein Engel und rief mit lauter Stimme: „Monulph und Gondulph steht auf und ziehet gen Aachen zur Einweihung der Münsterkirche!“

Die beiden Bischöfe erhoben sich aus ihren Gräbern und begaben sich zur Stunde in vollem Ornate nach Aachen. Eilenden Schrittes zogen sie durch die Jakobstraße und als sie sich dem Münster näherten, zitterten ihre Gebeine vor Freude dergestalt, daß sie förmlich klapperten und viele Leute dies ganz eigenthümliche Geklapper deutlich hörten. Sie traten in das offen stehende Münster und nahmen zwei von den 365 für die Kirchenfürsten bestimmten Sitzen ein, so daß am Tage der Einweihung zum Erstaunen aller Anwesenden und zur größten Freude des Kaisers 365 Bischöfe der heiligen Handlung beiwohnten.

Mit der größten Feierlichkeit und mit dem glänzendsten Gepränge weihte Pabst Leo das Münster nun ein und widmete dasselbe, nach Karls ausdrücklichem Wunsche, unserer Lieben Frauen. Nach der erhabenen Feier verließen die beiden Heiligen am Abende ihre Sitze und kehrten auf demselbem Wege, den sie gekommen waren, wieder in ihre Ruhestätte nach Mastricht zurück. Die Straße aber nahe beim Münster, wo viele Leute die Bischöfe in der Nacht gesehen und das Klappern ihrer Gebeine gehört hatten, wurde jetzt zum Andenken an dieses Wunder die Klappergasse genannt, wie sie bis auf den heutigen Tag noch heißt.

Zu Mastricht war die Reise der beiden Bischöfe nicht unbekannt geblieben, wie dies das Bildniß eines Engels in dem Gewölbe der St. Servas-Kirche, welches erst in jüngster Zeit daraus entfernt wurde, deutlich bekundete. Derselbe hielt eine Schrift in den Händen mit den Worten:

Monulphe, Gondulphe, staat ober, vaart,
Wyt Aken dat Münster, seyt God en gepaart!

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858