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Die Wolfsthüre und der Daumen des Teufels

(Fortsetzung von Der Münsterbau)

Kaum war der Pakt in des Teufels Händen, da regnete das Geld von allen Seiten zum Saale hinein, Alles von frischem Gepräge, nichts als Dukaten und Goldgülden. Alle Truhen wurden voll bis zum Rande und die Rathsherren freuten sich des guten Geschäftes. Ehe sie indessen aus einander gingen, machte doch noch einer derselben die sehr richtige Bemerkung, es dürfte zweckmäßig erscheinen, diese Angelegenheit ganz geheim zu halten. Alle pflichteten dieser Ansicht bei und so ward sie denn einstimmig angenommen. Indessen muß einer dieser Herren es doch seiner Frau erzählt haben, denn nach Verlauf von vierzehn Tagen wußte in ganz Aachen Jung und Alt das Geheimniß der geheimen Sitzung.

Am Münster wurden aber die Arbeiten so schwunghaft und mit solchem Eifer betrieben, daß der Bau den Rathsherren fast zu schnell seiner Vollendung entgegen ging. Wie sollten die Herren nun dem Teufel den Vertrag lösen? Da die Geschichte jetzt ruchtbar geworden war, so ließe sich nicht erwarten, daß jemals jemand in das Münster gehen sollte; dem Teufel mußte aber eine Seele geliefert werden, darüber hatte er Brief und Siegel mit den Unterschriften der Rathsherren.

Es war daher sehr natürlich, daß es den Herren dabei gar unheimlich zu Muthe wurde, und daß sie manche schlaflose Nacht hatten. Jeder dachte, der Teufel könne, wenn die Ablieferung der Seele zu lange verschoben werde, darüber ärgerlich, sich einen beliebigen Rathsherren holen, da sie sich ja für die Seele solidarisch verpflichtet hätten. Es wäre auch zu viel verlangt gewesen, wie einige Bürger meinten, daß ein Rathsherr für die anderen alle zuerst in das Münster treten und sich dem Teufel hingeben sollte, denn mit dem Teufel läßt sich doch nicht spaßen.

Aus dieser Rathlosigkeit rettete endlich ein kluger Mönch die Rathsherren, indem er ihnen erklärte, ihre Besorgniß sei ohne Grund, sie hätten dem Teufel zwar eine Seele versprochen, allein sich nicht verpflichtet für eine Menschenseele, er müsse sich daher mit jeder beliebigen Thierseele zufrieden geben. Die Rathsherren athmeten wieder auf, denn nun wußten sie schon Rath, wie das anzulegen sei. Endlich war der Bau fertig und über Nacht brachte der Teufel das schöne, große, bronzene Thor zum Haupteingange und hing dasselbe mit eigenen Händen in die Angeln.

Am folgenden Tage stand dasselbe weit geöffnet und hinter demselben saß der Teufel, denn es stand zuerwarten, daß heute die Neugierde schon eine Menge Leute in das Münster locken werde und der erste davon war ja sein. Die Rathsherren hatten aber in der Umgegend einen Wolf einfangen lassen, was gar nicht schwer fiel, weil sie reich an Wölfen war, und denselben eingekäfigt, damit er dem Teufel als erste Seele ins Münster getrieben werden sollte. So gedacht, so gethan, der Wolf wurde ins Münster hineingejagt.

Mit Blitzes Schnelle fuhr der Teufel aus seinem Versteck über den Wolf her und riß ihm lebendig die Seele aus. Vor Zorn und Grimm aber über den Betrug, daß man ihm statt einer Menschenseele nur eine armselige Wolfsseele zuerst in das Münster getrieben hatte, verließ er mit Heulen und Zähnefletschen das neue Gotteshaus und schlug in seiner Wuth die eherne Thüre mit solcher Gewalt hinter sich zu, daß sie einen Riß bekam, er sich selbst aber den Daumen der rechten Hand in einem der Thürknäufe abrenkte, welcher bald erkaltete und noch heute als Wahrzeichen in dem Thürknauf steckt.

Einheimische und Fremde bemühen sich bis jetzt noch vergebens denselben heraus zu ziehen. Vielen gelingt es wohl, ihn bis zum Rande hervorzulangen, dann gleitet er aber plötzlich wieder in seine Höhlung zurück, als wenn der Teufel selbst ihn an sich zöge. Wem es geräth denselben ganz herauszuziehen und ihn dem Kapitel zu überreichen, erhält von demselben ein goldenes Kleid zur Belohnung.

Zum ewigen Andenken an diese Geschichte mit dem Wolfe ließ der Magistrat dessen Bild in Erz gießen mit einem Loch in der Brust an der Stelle, wo der Teufel ihm die Seele ausriß. Die Seele eines Wolfes soll aber einer Artischocke oder einem Pinienapfel gleichen und in dieser Gestalt wurde dann auch sie in Erz gegossen. Auf steinernen Säulen stehen diese beiden Güsse an dem Hauptthore des Münsters, der Wolf rechts und die Artischocke links. Das Thor selbst heißt die Wolfsthüre. Wer nach Aachen kommt und sieht den Wolf und seine Seele, sowie die Wolfsthüre mit des Teufels Daumen nicht, der darf nicht behaupten in Aachen gewesen zu sein.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858