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Sage des Monats Oktober 2022

Der Münsterbau

Auf keines der vielen Bauwerke, welche Kaiser Karl ausführen ließ, verwendete er größere Sorgfalt, als auf das Münster zu Aachen, und keines betrieb er mit mehr Eifer und Liebe, als eben dieses. Von Rom und Ravenna aus ließ er Säulen und Marmorsteine, von Verdun große Quadersteine hier her schaffen, die Steinbrüche der Umgegend, so bei dem jetzigen Kornelimünster und bei Breinig, bei Mastricht und Valkenburg förderten Tag und Nacht Materialien zu diesem Bau.

Seinem vertrauten Freunde und Geheim-Schreiber Eginhard vertraute er die Leitung des Baues, wozu Ansigis, Abt zu Fontanell in der Normandie, den Plan entworfen hatte. Nicht selten erschien der Kaiser unter den Bauleuten und feuerte sie zu Fleiß und Thätigkeit an. Die tüchtigsten Bauhandwerker waren aus allen Gauen herbeigerufen und viele Künstler aus Italien und England ihnen zugesellt worden. So wurde denn der Bau rasch gefördert.

Doch der große Krieg mit den Sachsen rief den Kaiser in weite Ferne, ehe er noch sein Münster zur Hälfte ausgeführt sah. Vor seiner Abreise empfahl er allen Bauleuten das Werk angelegentlichst und besonders trug er dem Stadtrath auf, Sorge zu tragen, daß das Münster vollendet sei, wenn er heimkehre. Er sah nämlich voraus, daß der Krieg mit den Sachsen nicht so bald beendet sein werde.

Derselbe dauerte denn auch wirklich lange an und des Kaisers Schätze und der Gemeinde Mittel waren bald erschöpft. Unter solchen Verhältnissen stockte gar bald der Bau des Münsters, die Kassen waren leer und vergebens sah man sich nach Hilfe um. Der Stadtrath war dabei in einer trostlosen Verlegenheit, die tüchtigsten Handwerker entfernten sich allmählig von der Stadt, und doch hatte er dem Kaiser gelobt, das Münster vor seiner Heimkehr, wenn nicht ganz, doch beinahe fertig zu bauen.

Sie mußten selbst des Kaisers Zorn befürchten, wenn er sähe, daß aus dem Münster nun eine Ruine geworden sei, auf dessen Mauern Graswüchse. In dieser höchst mißlichen Lage, (denn daß sie dies wirklich war, sieht jeder ein, der bauen will oder gar bauen muß und kein Geld hat), war selbst beim Stadtrath der Rath theuer, so viele Sitzungen auch in dieser Angelegenheit bereits anberaumt worden waren. Voll von Beklommenheit hatte sogar der eine und der andere kühnere Stadtrath sich vermessen laut zu äußern, es müsse Geld herbeigeschafft werden und sollte man es beim Teufel selbst leihen. Ob Satan nun bei diesen Aeußerungen im Stadtrath anwesend war, oder ob ihm dieselben auf anderem Wege hinterbracht wurden, ist nicht gewiß, daß er aber davon Kenntniß genommen hat, das steht fest, wie aus Folgendem hervorgeht.

Eines Abends nämlich, als der Stadtrath wieder versammelt war und über den Bau des Münsters und über das fehlende Geld vor lauter Nachdenken eigentlich an nichts dachte, da trat plötzlich ein stattlicher Herr in schmucker Kleidung in die Versammlung. Er grüßte die Herren mit dem ganzen Anstand eines Kavaliers und sprach dann also: „Meine Herren, die ganze Stadt weiß es, und wer es nicht wüßte, der könnte es in euern Mienen lesen, daß euch ein Geldkummer drückt. Bei den heutigen Kriegsläuften ist dasselbe allerwegen rar und möchte es euch schwer„ fallen, selbst gegen Wucherzinsen eine nur mäßige Summe aufzutreiben. Ich selbst aber gehöre noch zu den Wenigen, die Geld in Ueberfluß haben, und freut es mich, ihnen jede beliebige Summe zum Fertigbau des Münsters anbieten zu können.“

Wie verklärten sich bei diesen Worten die Gesichter der Rathsherren! Der Vorsitzende im Rathe fragte daher den Unbekannten, unter welchen Bedingungen und zu wie hohen Zinsen er das Darlehn anbiete. „Zinsen, erwiedert dieser darauf, verlange ich ebenso wenig, wie Heimzahlung der Summe, nur diese kleine Bedingung möchte ich stellen: daß mir nämlich die erste Seele, welche nach Vollendung des Münsters in dasselbe tritt, mein eigen werde.“ Kaum waren diese Worte ausgesprochen, da stürzten vor Schrecken und Entsetzen die Stadträthe von den Stühlen und verkrochen sich unter den Tisch, denn jetzt erst erkannten sie, daß der Teufel in Menschengestalt vor ihnen stand.

„Meine Herren Stadträthe, sprach darauf der Teufel ganz gelassen, ich hätte euch wirklich nicht für so schwach gehalten; mehrere von euch haben das Geld von mir gewünscht und da ich nun erscheine und euch dasselbe gutmüthig anbiete, verkriecht ihr euch wie Knaben. Pfui, seid ihr Stadträthe, seid ihr für einen gefälligen Teufel so furchtsam? Wollt ihr auf meine Bedingung nicht eingehen, nun gut, für eine solche Summe Geldes, wie ihr sie nöthig habt, kann ich mir ja leicht ein halb Dutzend Seelen erwerben, denn das Geld war und ist noch immer, und wird es wohl zu allen Zeiten bleiben, meine Hauptseelen-Angel. Uebrigens seid ihr auch noch schlechte Rechner, wie viele Seelen werden mir durch diese Kirche, die ihr dann ja mit meinem Gelde baut, abwendig gemacht und ich verlange dafür nur Eine! Jeder muß einsehen, daß ich bei dem Handel im Nachtheil bin und nicht ihr.

Es war von mir doch nur so eine dumme Grille, um euch zu zeigen, daß ich auch gutmüthig sein kann. Euer Münster wird bald hübsche Nester für meine Eulen darbieten oder nehmet ihr Herren, wenn ihr es haben könnt, Geld zu billigern Bedingungen, ich halte, was ich habe!“

Weil der Teufel so manierlich sprach und viele Stadträthe die von ihm oben aufgestellte Seelenrechnung richtig fanden, so hatten sie sich allmählig ermannt und da der Teufel auch noch erklärte, er werde in Gold, ohne Agio zu berechnen auszahlen, so wurde der Vertrag geschlossen und ihm die erste Seele, welche in das Münster eingehen sollte, durch Unterschrift und Siegel zugesagt.

(Hier gehts weiter: Die Wolfsthüre und der Daumen des Teufels)

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858