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Der Otternstein bei Neuhaus

  Mündlich.

In der Görlitzer Haide, zwischen Neuhaus und Stenker, steht ein roher Stein, vom Volke der Otternstein genannt. Es haben nämlich die Ottern in der Görlitzer Haide in jedem Bezirke einen Otternkönig, der eine unschätzbare goldene Krone auf dem Haupte trägt. Wer dieselbe erobern will, der muß ein weißes Tuch in die Nähe des Königs legen, dann bringt er seine Krone und setzt sie darauf. Wenn man dieselbe ergreift und recht schnell von dannen flieht, so erobert man mit dieser Krone Glück und Reichthum. Aber es ist große Eile nöthig. Denn sobald das Otternvolk den Raub merkt, schießen sie zu Tausenden überall hervor und verfolgen den Räuber bis an die Grenze ihres Bereichs. Wer dieselbe erreichen kann, ist gesichert, denn ins benachbarte Revier, wo wieder ein anderer Otternkönig herrscht, dürfen sie ihn nicht verfolgen.

Ein beherzter Jüngling unternahm einmal das Wagstück. Aber das entsetzliche Zischen und Pfeifen der hinter ihm herschießenden Schlangen raubte ihm die Besinnung, und obgleich er nur noch hundert Schritt bis zur Grenze hatte, konnte er dieselbe doch nicht erreichen. Er stürzte zusammen und die Ottern zerfleischten ihn in wenigen Augenblicken auf die furchtbarste Weise. Zum Andenken an dies Ereigniß setzten fromme Leute an dieser Stelle den Stein, der bis auf den heutigen Tag der Otternstein heißt.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862