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Mara

  A. Frenzel, Von den Völkern in der Lausitz. Msc. Fol. S. 86. 
  Haupt u. Schmaler II. 268. Liebusch, Skythika, S. 272. 
  Ruhlandt, Taschenbuch II. S. 22. Magnus, Gesch. von Sorau p. 110.

Mara heißt bei den Wenden eine weiße Frau, welche die Pest oder andere Seuchen von Ort zu Ort trägt und nur dadurch von einem Orte ausgeschlossen werden kann, daß man die Ortsgrenze mit drei Pflugfurchen umzieht.

„Anno 1602 zur Pestzeit haben die wendischen Bauern um Sorau und Sommerfeld, wie die Pest gar sehr im Schwange ging, Folgendes gemacht: Sie lasen 9 Personen aus, nämlich 2 junge Knechte, alle beide reine Junggesellen, 1 Wittwe, so 7 Jahr im Wittwenstande gesessen und 6 Jungfrauen. Alle diese mußten am Ende des Dorfes um Mitternacht zusammen kommen.

Der eine Knecht brachte einen Pflug mit allem Zubehör, der andere eine abgestorbene Raite, damit machte er einen Kreis, in welchen sich die Wittwe mit den Jungfrauen begaben und daselbst ganz nackend ausziehen mußten; es durfte auch keinem ein einziges Wörtlein entfahren. Hierauf ging die Wittwe mit der Raite voran, die Jungfrau, so sich in den Pflug eingespannet, zogen denselben ihr nach und der eine Knecht ging neben dem Pfluge her, der andere aber blieb im Kreise sitzen und hütete unterdeß die Kleider, während die andern um's ganze Dorf eine Furche pflügeten, daß die Pest nicht in dasselbe ziehen sollte. Nach verrichteter Arbeit ging ein jedes mäuschenstill und ungemuckt nach Hause.“

Anders erscheint die Mara in der Gegend des Kottmarberges. Dort wandelt sie zur Mittagszeit umher und wo sie hintritt sprießen die Gräser, blühen die Blumen und wachsen die Kräuter. Daher pflegten die Wenden ehedem Wallfahrten nach jenem Berge zu unternehmen und sie durch angezündete Feuer, gekochte Milch und Kräuter zu ernähren, damit sie ihr Vieh beschütze. Auf dem benachbarten Lehrberge wohnten ihre Priester, noch zeigt man den Platz, wo das Lehrhaus gestanden und nennt einen dort befindlichen Quell den Lehrbrunnen. Beide Berge waren durch einen unterirdischen Gang verbunden, dessen Spuren noch heute wahrzunehmen sein sollen.

Anmerkungen: Noch heutzutage finden regelmäßige Spaziergänge auf den Kottmarberg am Abende des Pfingstfestes statt. Sehr merkwürdig ist die Doppelnatur dieser Göttin, die geradezu die polarischen Gegensätze des belebenden und zerstörenden Naturprincips in sich vereinigt. Als Pestfrau finden wir sie wieder in der Jezi-Baba der Böhmen, der Kuga der Serben, der Pestjungfrau in Tyrol, der Lichoretka der Russen, der Pestflicka der Schweden.

Pflügen ist in allen Mythologien das Symbol der Zeugung, welches hier sein Gegentheil, den Tod, abwenden soll. Bei Lucrez ist vomer = vir, sulcus = mulier. Ledige Mädchen wurden bei den alten Deutschen an den Pflug der Liebesgöttin gespannt. Noch im Mittelalter wurden die Mädchen, welche nicht Männer genommen, auf ähnliche Weise gestraft. Andere durften sich durch silberne Pflüge loskaufen, wie sie noch jetzt in manchen Kirchen hängen (Hans Sachs I. 5. 508a. Grimm S. 163. 243.). Noch im Jahre 1854, als in Oberschlesien die Cholera wüthete, haben die Bewohner eines Dorfes eine nackte Jungfer auf einen Pflug gesetzt und dreimal um die Grenze gefahren. Im wendischen Liede (I. n. 50.) zieht ein Jüngling in dem Lande, wo man Menschen einspannt, den Pflug, bis ihn seine Liebste befreit, und zwar durch Tanzen.

In einem wendischen Scherzliede (I. S. 204) heißt es: Die Pest kommt, Der Kukuk hat Junge. Das ist nicht wahr, Wiedehopf legte ihm eins hin.

Der Sinn der letzten Zeilen ist dunkel. Die ersten scheinen auf einer mythischen Beziehung zwischen Pest und Kukuk zu beruhen, die sonst den Slaven unbekannt ist, da ihnen nach Grimm nicht, gleich dem Deutschen, der Kukuk ein Teufelsvogel ist; ich vermuthe daher deutschen Einfluß. Vielleicht ist der Sinn dieses Verses folgender: Ungewöhnliche Ereignisse (Mißgeburten u. s. w.) sind Anzeichen der Pest. Ein solches auffallendes Ereigniß ist es, wenn der Kukuk ein Nest baut, der ja sonst gewöhnlich als Junggeselle, cocu, lebt. Die Gegenrede will dies böse Omen wegdisputiren mit der Behauptung: Es ist ein Betrug des Wiedehopfs, seines Küsters (Grimm S. 394.). Zu welchem Zwecke der Wiedehopf das thut, ist dunkel. Grimm weiß von der Thierfabel vom Kukuk und Wiedehops gar nichts, ich habe diesen kleinen Beitrag zugeben.

Mara scheint ein älteres Idol zu sein, als die beiden vorhergehenden. Nach Liebusch ist der Name Marzana nur eine Verlängerung von Mara. Als Lebensprincip ist sie wohl ein und dasselbe mit Siwa, von der wir eine eigentliche lausitzische Sage nicht haben, obwohl viele Namen u. s. w. an sie erinnern.

Nur von Zschiepkan (Schipkau?) bei Senftenberg geht die Sage, daß da, wo später im katholischen Zeiten ein Marienbild stand, früher ein Siwabild gestanden hätte. (Liebusch, Skythika. 269.) Dies mochte vielfach stattfinden und besonders durch die Aehnlichkeit der Namen Maria und Mara erleichtert werden.

Daß sich übrigens auch die Doppelnatur dieser weiblichen Gottheit auf die katholische Maria übertragen hat, ist bekannt und erklärt den feindseligen, trauernden Charakter der sogenannten schwarzen Marien. Auch wurde die Linde, die zugleich Liebes- und Todtenbaum ist, ein Symbol der Maria.

Die nordische Todesgöttin Hel ist halb schwarz, halb menschenfarbig (Grimm, S. 195.). Demeter wurde auch als zürnende Göttin schwarz dargestellt (Pausan. 8. 42.), ja selbst Persephone, Proserpina furva (Censorin., de die nat. c. 47.). Auch gab es eine schwarze Aphrodite und bekannt ist die schwarze Diana zu Ephesus. Schwarze Madonnenbilder sind in Loretto, Neapel, Einsiedeln, Würzburg, Oettingen, Kiew, Czenstochau, was die Lausitz betrifft in Rosenthal beim Kloster Marienstern (siehe die Legenden). Der Name des Kottmar wurde früher von Mars abgeleitet, hängt wohl aber näher und natürlicher mit der Mara zusammen. Einige erklären die erste Silbe für cot = cusch = Berg, also Berg der Mara, andere für Chod = Gang, Wallfahrt, also entweder Mara's Gang, in Bezug auf die wandelnde Göttin, oder Wallfahrt zur Mara, in Bezug auf den gottesdienstlichen Besuch des Berges. Wahrscheinlich ist auch die Murava (siehe die Koboldssagen) sprachlich und sachlich mit der Mara verwandt.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862