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Das böse Weib (Slaczona)

  Gräve S. 175

Krumm und sehr gebückt schleicht in den Dörfern am hellen Tages lichte ein kleines, altes, verrunzeltes und verschrumpftes Weib, mit triefenden Augen, großem Kopfe, warzigem Gesichte und mächtigem Höcker auf dem Rücken an einer Krücke umher, kriecht in Keller und Scheunen – da wo sie weilt, melken Kühe und Ziegen Blut, ergiebt sich keine Butter, verdirbt der Käse, schlickert die Milch, bekommen die Schafe Pocken, Hunde die Räude, der Wurm kommt ins Korn, das Gespinnst wird von Mäusen zerfressen: kurz es waltet Unfall, wohin ihr Auge blickt und ihr Fuß tritt. Erblickt sie ein Kind unterm Jahre, so beschreit sie es und es bekommt Friesel, Ausschlag, geschwollenen Leib oder irgend eine andere Krankheit. Die Wenden nennen es das böse Weib (Slaczona). Kräftige und furchtlose Männer dieser Nation haben schon mehrmals, wenn sie es gewahrten, die Fäuste gegen selbiges in Bewegung setzen wollen, allein es ist mit einem schallenden Gelächter vor ihren Augen verschwunden und die Frevlerhand erkrankt.

Anmerkungen: Der Glaube an das böse Auge (öpôauog ßagxavog. Plat. Conviv. I. quaest. 7. Obliquus oculus Horat. ep. 1, 44, 37. ital. mal'occhio, portug. olho mao, span. mal el ojo, engl. Evil eye) ist in der ganzen Welt verbreitet. Ausführlicher berichten Nork, Sitten und Gebräuche S. 533., und Schindler, der Aberglaube 2c.

Uebrigens sollen die Slaven von Natur mehr Anlage zum bösen Blick haben, als die Deutschen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862