<<< vorherige Sage | Zweite Abtheilung: Dämonensagen | nächste Sage >>>

Der Vampyr

  Gräve S. 113.

Ein Vampyr ist ein gespenstisches Wesen, welches durch Blutaussaugen die Menschen tödtet. Abgeschiedene Seelen verstorbener Menschen führen noch im Grabe ein Scheinleben fort, das ihnen keine Ruhe läßt. Bei Nacht erheben sie sich aus ihren Gräbern, legen sich über schlafende Menschen, besonders über ihre eigenen Blutsverwandten und saugen ihnen auf körperlich kaum wahrnehmbare Weise das Blut aus. Ganze Familien sind durch Vampyre ausgerottet worden. Andere erscheinen auch bei Tage und geben sich für Anverwandte, Freunde, Geschäftsreisende aus. Sie können nicht anders gebannt werden, als wenn ein Priester die Leichname ausgraben läßt, ihnen den Kopf abschneidet, das Herz mit einem Pfahle durchsticht, selbiges sodann verbrennt und die Asche auf das Grab streut.

Sonst ist es auch die Seele eines noch Lebenden, die den Körper, den der Schlaf überwältigt, unwillkürlich verläßt, alsdann in scheußlicher Schatten gestalt in Anderer Schlafgemach eilt und ebenso, wie jene, den Schlummern den das Blut aussaugt. Gegen diese nun, da man nicht weiß, wessen Körper sich die Seele entwunden hat, hilft nichts als Fasten und Beten, Räuchern und Besprengung mit Weihwasser.

Um keinen Vampyr zu begraben, muß man sich vorsehen, daß nicht der Leiche, wenn sie im Sarge liegt, irgend ein Band oder dergleichen in den Mund kommt.

Jetzt hört man glücklicher Weise nur selten. Etwas von diesem schrecklichen Gespenste. Aber noch im 16. Jahrhundert hat ein weiblicher Vampyr unter dem Namen einer Gräfin Villambrosa (?) mehre Edelhöfe in der Niederlausitz besucht und in den dortigen Familien große Verheerungen an gerichtet.

Anmerkungen: Der Vampyrismus, der besonders bei slavischen Völkern eine so schreckliche Rolle spielt, hängt nach Görres' Meinung mit dem Alpdrücken zusammen. Ein oberlausitzischer Aberglaube sagt: Wenn ein Leichnam rothe Backen behält, so holt er bald Einen aus der Verwandtschaft nach. Auch darf man der Leiche kein Tuch nahe an den Mund bringen, sonst kaut sie es und die ganze Familie stirbt aus. Vergleiche Ranft: Ueber das Kauen und Schmatzeit der Todten in den Gräbern. Leipzig 1728.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862