<<< vorherige Sage | Zweite Abtheilung: Dämonensagen | nächste Sage >>>

Die Wehklage (Haupt)

  Provinzialbl. St. 3. S. 260. 
  L. Mon. Schr. 1797. II. 753. 
  Gräve S. 47. 
  Haupt und Schmaler II. S. 269. 

Die Wehklage (Boze sedlesco) heißt bei den Wenden ein freundlicher Schutzgeist, der sich entweder als ein schönes weißgekleidetes Kind oder der Gestalt einer weißgefiederten Henne zu zeigen pflegt und eine bevorstehende Gefahr oder ein bald zu befürchtendes Unglück durch Klagen und Weinen – anzeigt und hierdurch davor zu warnen sucht. Daher hat man oft bei den Wenden die Worte: Boze sedlesco je plakato (die Wehklage hat geweint). Man kann die Wehklage fragen und sie antwortet auch, aber in unbestimm ten Ausdrücken. Im Jahre 1766 wurde die Stadt Muskau mit einem großen Brande heimgesucht. Da hat sie sich denn vorher in dem Hause, wo das Feuer auskam, oft hören lassen, und auf Befragen geantwortet: Es wird - nicht nur bei dir sein, sondern auf allen Gassen.

Vor einigen Jahren ertranken ebendaselbst bei der Neißmühle drei Personen. Da hat der Müller auch vorher die Wehklage gehört, und als er gefragt, was es geben würde, hat sie geantwortet: Es betrifft nicht dich, sondern einen Andern. In Wittichenau hörte man sie vor dem Brande im Jahre 1822 und in Bautzen, in der Gegend wo jetzt das Theater steht, vor jeder Feuersbrunst, Pest und andern Unglücksfällen. Jedoch nicht jeder kann die Wehklage sehen. Es ist eine Gabe der Sonntagskinder.

Wenn eine wendische Magd heißes Wasser ausgießt, so sagt sie, wenn sie vorsichtig ist: Wehklage geh weg, da mit ich dich nicht verbrühe. Sonst würde der Geist sie selber verbrühen. In diesem Falle sagt man: Die Wehklage hat dich verbrüht, und wendet folgende Kur dagegen an: man schmiert das Ofenloch mit Butter und spricht dazu: Ich schmiere dich; heile mich, du hast mich verbrüht; sodann nimmt man den Schaum von einem kochenden Topfe und schmiert den Schaden da mit. Dann heilt er schnell und sicher.

Anmerkungen:

  1. Bei der weißen Henne erinnert Gräve an den filium gallinae albae des Patroms; der Vogel, den der slavische Orakelgott Radegast auf dem Kopfe trug, war auch eine Henne. Bei ihrem Hochzeitsgebräuchen haben die Wenden noch heute ein Hühnerorakel. Wenn die Neuvermählte in den Hof ihres Eheherrn tritt, läßt sie eine mitgebrachte Henne vorweg in den Hof laufen. Bleibt die Henne ohne Weiteres im Hofe, so ist es ein gutes Zeichen. Dann wird die junge Frau auch bald heimisch werden und ihre Ehe von Dauer sein. Thut aber die Henne scheu und ängstlich, dann steht die Sache schlimm; am schlimmsten, wenn sie gar zum Nachbar fliegt.
  2. Der verbrennende Geist hängt eigentlich mit der warnenden Wehklage nur durch die Vorstellung der unsichtbaren Nähe zusammen. Im Aargau ist es ein ziegenartiger Kobold, der mit der Suppe verbrüht; das hungrige Kind, dem die Suppe nicht schnell genug kühl wird, ruft aus: Thalemer-Geis - Mach mer de Suppe mid zu heiß. (Rocholz S. 335.)
  3. Die Schweden schmieren das Ofenloch mit einer Speckschwarte ein, wenn ein Kind rothe Flecken bekommen hat. (Friederich, Symbol. und Mythol. der Natur S. 55.) Vergleiche No. 219. Anm.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862