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Der Irrwisch

  Laus. Monatsschrift 1797, II. 747. Haupt u. Schmaler II. 266. Gräve No. 71.

Der Irrwisch (wendisch Bludnik, von blud, der Irrthum) ist ein schadenfroher Gnome, der bei Nacht und Nebel die Menschen so verblendet, daß sie den Weg verlieren und irre gehen und dabei leicht in Sümpfe gerathen. Das macht er besonders mit den Vorwitzigen, die ihm muthwillig nachlaufen. Das beste Mittel, ihn zu vermeiden oder unschädlich zu machen, ist, daß man die Fußwege vermeidet, auf denen er nur Gewalt hat, und stets mit einem Fuße im Wagengeleise bleibt. Manchem jedoch, der ihm gute Worte giebt und eine annehmliche Bezahlung verspricht, hilft er den bereits verlorenen Weg wiederfindean und geleitet ihn richtig nach Hause. Aber wehe dem, der ihn zum Besten hat und ihn betrügen will. Ein Verirrter versprach ihm einmal zwei Silbergroschen, wenn er ihn richtig nach Hause bringen wollte.

Der Irrwisch war damit zufrieden und sie kommen auch endlich vor das Haus des Verirrten. Dieser erfreut, daß er keiner Hülfe mehr bedarf, dankt dem Führer, giebt ihm aber statt des Versprochenen eine geringe Kupfermünze. Der Irrwisch nimmt sie auch an und fragt, sich bereits entfernend, ob sich der Geleitete nun allein nach Hause finden werde? Letzterer antwortet ganz fröhlich: Ja! denn ich sehe schon meine Hausthüre offen. Da schreitet er auf diese zu und – fällt ins Wasser, denn es war alles Täuschung gewesen.

Besonders mit den Betrunkenen macht sich der Irrwisch seinen Spaß, wenn sie vom Jahrmarkte oder von einem Trinkgelage nach Hause gehen. Er führt sie vom Wege ab und in die Irre, und wenn sie in ihrer Trunkenheit nicht weiter gehen wollen, sondern es vorziehen, draußen ihren Rausch auszuschlafen, dann brennt er sie auf die Fußsohlen. In einigen Gegenden hat das Volk den Glauben, die Irrlichter wären die Seelen der ungetauft verstorbenen Kinder. Man erblickt sie vorzüglich auf Kirchhofsmauern. Wenn man eine Hand voll Friedhofserde nach ihnen wirft, verschwinden sie.

Anmerkungen: Seelen Verstorbener erscheinen als Lichter und das Licht ist ein Symbol für den Geist eines Todten. Daher das Licht bei katholischen Begräbuissen, das prophetische Tod verkündigende Lichtverlöschen auch im lausitzischen Aberglauben (siehe No.345.). Wenn die Brautleute bei Tische sitzen, werden zwei Lichter angezündet. Wessen Licht zuerst verlischt, der stirbt zuerst. Dieselbe Bedeutung haben ja bekanntlich die Lichtlein in den Rußschalen am Sylvesterabende.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862