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Die Klosternixe zu Guben

  Sausse, Gubener Wochenblatt 1862 No. 61.

Auf dem Vorwerke Einbecke bei Guben ist ein Brunnen, der noch vor 300 Jahren den Namen Osterabrunnen führte und wegen seiner Heilkräfte hochgeschäßt wurde. In diesem Brunnen wohnt eine Wassernixe. In den heiligen Nächten des Jahres, besonders zu Ostern und Johannis, zeigt sie sich noch heutzutage am Rande des Brunnens. Diese Nixe liebte einst einen jungen, schönen Bürgerssohn aus Guben, Namens Heinrich, und hatte viele heimliche Zusammenkünfte mit ihm, aber schließlich war des Jünglings Frömmigkeit und Gottesfurcht stärker als seine Liebe. Er verlobte sich der Jungfrau Maria und widerstand allen Verlockungen des lieblichen heidnischen Frauenbildes um seiner Seelen Seligkeit willen.

Die Wasserjungfrau, von unsäglichem Schmerz über den Verlust des Geliebten gepeinigt, beschloß die Mächte kennen zu lernen, die ihr den Jüngling entfremdet hatten und in den Dienst der heiligen Jungfrau zu treten, die ihr, wie sie meinte, aus Eifersucht den schönen Heinrich geraubt hatte. Derhalben begab sie sich in das Jungfrauenkloster und verrichtete als Laienschwester schweigsam und unerkannt die niedrigsten und härtesten Mägdedienste. In ihr Inneres aber zog Christus ein und erfüllte sie mit allen Segnungen des Evangeliums und die heilige Liebe zu ihrer Nebenbuhlerin Maria tilgte den heidnischen Groll in ihrem Herzen. Bald wurde man auf ihre Demuth und Frömmigkeit aufmerksam; sie ward nach und nach Nonne, Subpriorin, Priorin und endlich Aebtissin des Klosters unter dem Namen Paula. Ihre wunderbare Kenntniß heilsamer Naturkräfte, ihre unverdrossene thätige Liebe in Heilung der Kranken brachten sie bald in den Ruf der Heiligkeit. Niemand ahnte ihre Herkunft, denn die Nixen gleichen den Menschen vollkommen, nur daß sie am Gewande stets einen feuchten Saum oder Zipfel als Zeichen ihres heimischen Elementes behalten. So sorgfältig nun die Aebtissin den feuchten Saum ihres Schleiers zu verbergen strebte, so entging er doch nicht den lauernden Blicken einer jungen, klugen und neugierigen Nonne und bald war das Geheimniß dem ganzen Kloster bekannt.

Von Stund an waren ihr die Herzen der Nonnen entfremdet. Kalte Grüße, lauernde Blicke, heimliches Geflüster verwundeten das Herz der liebevollen Aebtisfin. Bald erfuhr der Beichtvater des Klosters das Geheimniß. Im Eifer für das Heil der Kirche befragte er die Aebtissin im Beichtstuhle. Aber schon bei den ersten Worten erhob sich die Unglückliche händeringend und wehklagend. Sie bekannte, sie sei die Nixe des Osterabrunnens und fügte unter Jammern hinzu, daß sie nun wieder zurück müsse in ihre feuchte Wohnung. Nur noch ein Jahr, dann wären die sieben Jahre der Prüfung vorüber und ihre Seele gerettet gewesen. So nahe am Ziele, sei sie durch den voreiligen Eifer der Nonnen jetzt weiter als je davon entfernt.

Darauf nahm sie Abschied vom Kloster und allen seinen Heiligthümern und allen seinen Bewohnern, und die Nonnen weinten sehr, denn sie hatten sie alle so lieb, obgleich sie eine Nixe war. Und dann ging sie schweigend zurück in ihre frühere kalte Wohnung. Seitdem hat man sie oft bei Nacht in ihrem Nonnengewande die Kreuzgänge des Klosters durchwandern gesehen. Vorzüglich zeigt sie sich daselbst in der Nacht vor dem 15. August, dem Feste der Himmelfahrt Mariä. Uebles hat sie niemals Jemandem zugefügt.

Anmerkungen:

Der Name des Brunnens ist eine deutliche Erinnerung an die germanische Ostera. Die Sehnsucht der Nixen nach Erlösung und Seligkeit und ihr Schmerz bei Vereitlung ihrer Hoffnung darauf ist ein besonders wehmüthiger und rührender Zug, der vorzüglich der nordischen Sage eigen ist. Die Aebtissin-Nixe list an die Seite zu stellen dem I. 47. Anm. 1. erwähnten Seebischof der dänischen Sage.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862