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Das Riesengeschlecht

  Sausse, Gubener Wochenblatt 1862 No. 60.

In uralten Zeiten, noch vor der Sündfluth, bewohnten Riesen die Lausitz. Sie waren hochmüthig und gottlos und waren dem Geschlecht der Menschen feindselig; nur nach ihrem Fleisch waren sie allezeit sehr lüstern und wo sie einen Menschen fangen konnten, fraßen sie ihn auf. Wenn sie dann satt waren, setzten sie sich auf die Berge und spielten mit den großen Steinblöcken, die sie sich gegenseitig zukollerten, wie die Knaben ihre Thonkugeln. Sie waren so groß, daß auch die Sündfluth ihnen nichts anhaben konnte, denn sie ragten mit ihren Häuptern aus dem Wasser hervor. Durch dieses Glück wurden sie immer übermüthiger und gottloser, bis endlich Gott den Erzengel Michael herunterschickte, der sie alle mit seinem Speere erlegte.

Nur einer blieb übrig, der konnte wegen eines Zaubers nicht getödtet werden. Den schlug Gott der Herr selber mit Donnerkeilen darnieder, wälzte auf sein Haupt die Landeskrone und auf seinen Leib steiniges Erdreich, zwei hundert Ellen hoch von Görlitz bis Guben. Da liegt er noch heute und ist noch immer lebendig, denn sterben kann er nicht. Und wenn er Durst hat, trinkt er die Flüsse und Seen aus, daß sie versiegen, wenn er aber das Wasser wieder von sich giebt, überschwemmt er das Land, daß Menschen und Vieh ertrinken, und wenn er sich windet, bebt die Erde; früher athmete er auch feurige Flammen, die aus der Landeskrone hervorbrachen.

Die Leichen der übrigen, vom Erzengel Michael getödteten Riesen wurde eine Beute der Wölfe. Diese waren damals noch der menschlichen Stimme mächtig. Als sie die Riesen aufgezehrt hatten, fehlte es ihnen an Speise. Da fielen sie die Menschen an und diese verkrochen sich vor ihnen in unterirdische Höhlen und nährten sich kümmerlich von Wurzeln und Kräutern, bis sie endlich die Kunst erlernten Feuer zu machen und Waffen zu bereiten. Nun konnten sie ihre Feinde bekämpfen. Seitdem verlernten die Wölfe die Sprache. Die Menschen aber fingen an, sich vom Blut und Fleisch der Thiere zu nähren, Kleider zu tragen, Häuser zu bauen, das wüste Land zu bestellen und Bier zu brauen, davon sie weidlich tranken und starke Helden wurden.

Anmerkungen:

Dieser 12 Meilen lange Riese, der mit dem Kopf unter der Landeskrone und mit den Füßen bei Guben liegt, gleicht der Midgardschlange des Nordens, die durch Wasserschlucken und Ausspeien Ebbe und Fluth hervorbringt. Zugleich ist er der leibhaftige Typhon der griechischen Sage. Wie dieser kann er nicht sterben, sondern muß durch einen darauf gewälzten Berg unschädlich gemacht werden. Wie dieser giebt er Neuferungen seines Lebens durch vulkanische Eruptionen.

Die Landeskrone ist eine Basaltkuppe mit einer eingesunkenen kraterförmigen Vertiefung zwischen ihren zwei Gipfeln und viele Gelehrte halten sie für einen ausgebrannten Vulkan. Ob aber die Erinnerung an seine Thätigkeit ein wirklich volksthümlicher Zug sei, ist sehr zu bezweifeln. An dieser Stelle wird die Aechtheit der Sage verdächtig. Indessen bitte ich No. 80. des I. Theiles zu vergleichen, wo von den Drachenfeuern bei Zilmsdorf die Rede ist, welche von dem Lindwurm herrühren, der immer von der Oberlausitz nach der Niederlausitz flog, wie hier der Riese von der Oberlausitz bis zur Niederlausitz reicht, Typhon ist ja aber bekanntlich beides, Riese und Schlange.

Ferner ist darauf aufmerksam zu machen, daß wir schon einmal einer eigenthümlichen sagenhaften Verbindung zwischen der Landeskrone und der Niederlausitz begegnet sind. Ich meine die Sage von dem Wendenfürsten, der die Landeskronenburg erbaut und dann noch einmal im Spreewalde zum Vorschein kommt (siehe II. 132.) Die sprechenden Wölfe erinnern lebhaft an die Sagen vom Wehrwolf, deren ich jedoch keine in der Lausitz gefunden habe.

Schließlich will ich diese Gelegenheit nicht vorbeilassen, ein ganz merkwürdiges Sagenspiel mitzutheilen. Eine Landskronensage von makellosester Echtheit erzählt wunderlicher Weise, daß Ziscibor, der Wendenfürst, seine Schätze in der Tiefe des Berges bewache und dabei „eine weiche Semmel in der Hand halte“ (1. I. 258.) Derselbe Ausdruck kommt aber auch in einem wendischen Scherzliebe vor, wo es ausdrücklich heißt: „Und den Vater wollen wir hinter den Ofen setzen und ihm eine weiche Semmel in die Hand geben.“ (So ungefähr. Der genaue Wortlaut ist mir entfallen und ich habe die Stelle nicht wieder finden können).

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862