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Die Flucht Maria’s

  Nach dem Wendischen. 
  Haupt und Schmaler I. S. 275.

Am Weg', am Steg', an der Straße säete Gerste der arme Mann. Da ging die heilige Mutter Maria vorbei mit ihrem lieben Kindlein und grüßte den armen Mann also: „Helf Gott, helf Gott, mein lieber armer Mann, helf Gott dir und deiner Gerste. Wenn du die Gerste wirst gesät haben, so gehe nur immer heim und hole deine Sichel, denn wenn du an dem einen Ende wirst fertig gesät haben, so wird sie zum Schneiden reif sein an dem andern Ende. Und wenn dann die Juden hier vorbeikommen, das sündhafte Heidenvolk, so verschweige mich ihnen nicht, aber verrathe mich ihnen auch nicht.“

Und als Maria kaum hinter dem Berge eilends verschwunden war, kamen die sündhaften Juden herangejagt und grüßten den armen Mann also: „Helf Gott, helf Gott, mein lieber armer Mann, helf Gott dir und deiner Gerste. Ging nicht hier ein Weib vorbei mit ihrem kleinen Kindlein?“ „Ja“, antwortete der arme Mann, „sie ging unlängst hier vorbei, als ich soeben die erste gesät hatte.“ „du dummer, alberner Mann,“ höhnten die Juden, „das muß ja schon wenigstens zwölf Wochen her sein.“ Und auf der Stelle kehrten sie um, die Juden, das sündhafte Heidenvolk, und stachen die Kinder alle todt, vom ersten bis zweiten Jahre; aber Jesum Christum fanden sie nicht.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862