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Der Jungfernturm zu Guben

  Mündlich aus Guben

I

An der Werdermauer befindet sich die Ruine eines zweiten Befestigungsturmes aus alter Zeit. Er ist unter dem Namen Jungfernturm bekannt, doch pflegt man ihn jetzt auch nach dem Besitzer des anstoßenden Gartengrundstücks „Schliefs Turm“ zu nennen. Von ihm berichtet die Sage:

Im Jungfernturme stand eine eiserne Frau, die in jeder Hand ein Schwert hielt. Wer etwas verbrochen hatte, mußte herauf und sie küssen und ihr dabei auf die Zehen treten, und wenn er sie küßte, schlugen die Schwerter zusammen, und der Kopf war ab und fiel in einen Graben, der unten vorbeifloß.

II

Vom „dicken Turme“ führte zu „Schliefs Turme“ ein unterirdischer Gang; diesen wurden die Verbrecher in Ketten entlang geleitet. Im Schliefs Turme mußten sie eine hohe Leiter hinaufsteigen, und man warf sie dann von oben hinunter. In ihrem Gefängnis war kein Licht, und sie mußten dort unten bleiben, bis sie tot waren.

III

„Schliefs Turm “ diente früher als Gefängnis. An den Wänden und Thüren waren lauter eiserne Nägel mit herausstehenden Spitzen. Wenn jemand etwas Schweres verbrochen hatte, wurde er dort eingesperrt. In dem Turme befand sich auch eine Tonne, die inwendig mit spitzen Nägeln besetzt war. Wer etwas Schlimmes begangen hatte, wurde hineingesetzt und den Berg hinunter ins Wasser gerollt.

IV

Vom Jungfernturme aus liefen unterirdische Gänge unter der Neiße und unter dem Osterberge fort bis zur Einbecke. In den Gängen haben Räuber gehaust. Als man diese fing und hinrichtete, fand man in den Gängen ganze Kisten voll Gold.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894