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Die vom Blitz erschlagene Nonne

  Mündlich. 
  Moraweck, Denksteine S. 40, 59.

Dem Portal des Klosterhofes Marienthal gegenüber, an der Fahrstraße nach Altstadt zu, befindet sich eine hohe, rundgemeißelte Säule von Sandstein, welche an einem viereckigen Fußgesteine eine vor Alter unleserlich gewordene Inschrift enthält. Im Munde des Volks lebt über die Entstehung dieser Denksäule folgende Sage.

Es kam einmal ein großes Gewitter nach Marienthal und stand drei Tage und drei Nächte über dem Kloster ohne sich zu zertheilen. Die Nonnen des Klosters beteten ohne Unterlaß, aber das Gewitter zog nicht fort und wollte sich auch nicht entladen. Da kamen sie zu der Ueberzeugung, es müsse eine unter ihnen sein, welche den Zorn des Himmels auf sich geladen hätte, und fragten sich unter einander, welche es wohl sein möchte.

Da trat endlich eine ganz blutjunge Nonne hervor, die erst kürzlich den Schleier genommen hatte, aber nicht aus freiem Willen, sondern mit Widerstreben und gezwungen durch ein Gelübde ihrer Eltern, die bekannte, daß sie kurz vor ihrer Einführung in das Kloster gesagt hätte, ehe sie in das Kloster ginge, sollte sie doch das Donnerwetter erschlagen!

Sie wurde sogleich aus dem Kloster geführt und fiel an jener Stelle vor dem Thore reumüthig auf ihre Kniee und betete. In demselben Augenblicke entlud sich das Gewitter und der erste Blitzstrahl traf die knieende Nonne und tödtete sie.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862