<< Der Bärberg | Niederlausitzer Volkssagen | Die spukende Pferdedistel an der Garwenzbrücke >>

Der geraubte Schimmel und der Wechselbalg

  L. E. Clausnitzer, Sonntagsbl. d. Preuß. Lehrerzeit., 1891, Nr. 30.

„Als im siebenjährigen Kriege österreichische Truppen durch Groß-Breesen gen Norden zogen — vielleicht im Jahre 1759 vor der Schlacht bei Kunersdorf oder auch 1760 vor der Belegung Berlins wurde den Vorfahren des Rofsäten Krüger der letzte Schimmel genommen. Kurz entschlossen machte sich die Besitzerin - der Besitzer war schon seit einigen Tagen fort, da man ihn gezwungen hatte, Vorspanndienste zu leisten – auf, das Pferd zurückzuholen. Sie erreichte das Ende des Heereszuges kurz vor Neuzelle. Mitleidige Soldaten rieten ihr, sich in dieser Angelegenheit an eine vornehme, vermutlich dem Befehlshaber nahestehende Dame zu wenden.

In größter Hast eilte sie an den Kolonnen vorüber und erreichte an der Spitze des Zuges eine wunderschöne Dame. Sie that vor derselben einen Fußfall, wurde nach ihrem Begehr gefragt und erhielt unter freundlichen Worten ihr Eigentum zurück. Es wurde ihr aber zugleich der Rat gegeben, nicht auf geradem Wege zurückzukehren, da ihr leicht das soeben erhaltene Tier von nachfolgenden Truppen wieder entrissen werden könnte.

Die Frau war daher gezwungen, einen Umweg zu machen; sie mußte sogar von dem linken Neißeufer auf das rechte reiten; entschlossen hatte sie sich nämlich auf den ungesattelten Schimmel gesetzt. Da es bereits Abend geworden war, so geriet sie in Sorge, ob sie noch vor Mitternacht zu Hause sein werde. Denn einen Säugling hatte sie ohne Aufsicht zurücklassen müssen, und wenn um 12 Uhr nachts niemand bei dem Kinde war, so kam der Böse und legte statt des eigenen Kindes einen Wechselbalg in die Wiege.

Lange vor Mitternacht hatte die Frau gedacht daheim zu sein; nun war sie aber genötigt gewesen, den Umweg zumachen. Sie trieb das treue Tier zur Eile an. Als die Uhr zum Schlage der letzten Tagesstunde aushob, ritt die geängstete Mutterin vollem Gallopp in das Dorf ein, und vor dem letzten Glockensschlage noch trat sie in ihre Stube; ihr Kind war gerettet“.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894