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Sage des Monats November 2022

Das Zwerggeschenk der Ahnfrau

  Büsching I. 97.

Eine Wöchnerin, die noch das Bett hütete, und eben allein in der Stube war, hörte plötzlich ein ungewohntes Geräusch in ihrem Zimmer; sie blickte nach der Gegend, von wo es herzukommen schien, und sah zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß in der Gegend des Ofens unten an der Wand plötzlich eine nur unbedeutend große Oeffnung sichtbar wird und daraus ein kleines graues Männchen oder Querxlein hervor kommt, und mit vielen Grüßen ihrem Bette sich naht. Es redet sie mit Höflichkeit an und erbittet sich die Erlaubniß, daß eine ganze Gesellschaft ein Gastmahl in dieser Stube halten möge, und verspricht für die Erlaubniß im Namen Aller erkenntlich zu sein.

Die Wöchnerin, äußerst neugierig auf diese Gesellschaft, ertheilt die erbetene Erlaubniß und das Männchen empfiehlt sich mit vielen Begrüßungen wieder. Bald darauf hört die Wöchnerin durch jene Oeffnung ein neues, noch größeres Geräusch, und das kleine graue Männchen erscheint wieder an der Spitze von einer Menge ebenso kleinen Hausgesindes, das, wie geschäftige Ameisen, kleine Tische und Stühle und ganze Körbe voll der köstlichsten Eßwaaren und Speisen durch jene Wandöffnung herbeibringt, und nun damit die Tische auf das schönste besetzt. Jetzt erschallen Töne aus der Ferne, sie nähern sich allmählich und es treten nun, ebenfalls durch jene Oeffnung, mehre Musikanten mit ihren Instrumenten ein, an die sich ein langer bunter Zug von lauter solchen kleinen Wesen anschließt. Die Gesellschaft nimmt Platz an den Tischen und hält ein lebhaftes vergnügtes Mahl unter der angenehmsten Tischmusik. Nach aufgehobener Tafel ertönt eine muntere Tanzmusik, und schon fangen die kleinen Leutchen an, bunt unter einander sich zu drehen und zu schwenken, als plötzlich ein neues Querxlein in's Zimmer gestürzt kommt, die Hände über den Kopf zusammen schlägt und voller Betrübniß ausruft: „O große Noth, o große Noth! Die alte Mutter Pump ist todt!“

Wie ein Donnerschlag tönt dies den kleinen Gästen in die Ohren; so schnell als möglich nimmt jeder die Flucht. Alles was von Sachen da war, ward eiligst hinweggeschafft, und zwar Alles zu der Oeffnung wieder hinaus, wo es hereingekommen war.

Die ganze Stube war nun wieder leer und einsam, nur jenes kleine Wesen, das allem Ansehen nach die Stelle eines Ceremonienmeisters bekleidete, war noch zu sehen; es kam wieder auf die Wöchnerin zu, erzählte ihr, daß der plötzliche Tod der Ahnfrau ihres Stammes sie in Schreck und große Betrübniß versetzt habe, und daß sie nun sehr unglücklich werden könnten; es bedankte sich übrigens höflich für die ertheilte Erlaubniß des Zutritts in die Wochenstube, und schenkte der Wöchnerin im Namen der ganzen Gesellschaft zum Dank dafür drei Geschenke, nämlich: einen goldenen Ring, einen silbernen Becher und ein Waizenbrödchen.

Diese drei Dinge, sagte das Männchen, seien von großer Wichtigkeit; denn so lange sie alle drei vereint in dem Stamme bleiben würden, würde er immer größer, angesehener und reicher werden und Glück und Ruhm würde sein Eigenthum sein. Sie müßten daher alle drei als ein werthes Heiligthum betrachtet und sorgfältig aufbewahrt werden; der Ring aber solle allemal in dem Geschlechte des ältesten Sohnes verbleiben und von dessen Gemahlin getragen werden. Hierauf empfahl sich das Männchen höflichst wieder und verschwand durch die bewußte Oeffnung und diese mit ihm.

Der Wöchnerin war es, als ob sie aus einem Traume erwache, und sie würde auch wirklich Alles für Traum gehalten haben, wenn nicht die drei Geschenke ihr so in die Augen geglänzt hätten.

Es ward nun die ganze Sippschaft, der ein so günstiger Glücksstern aufgegangen war, zusammen berufen, ihr der ganze Vorfall vorgetragen und endlich gemeinschaftlich berathschlagt, wie man jene drei Geschenke als Unterpfänder eines ununterbrochenen künftigen Glückes des Geschlechts sich am besten sichern könne.

Einem gefaßten Entschlusse zufolge ward nunmehr ein fester steinerner Thurm erbauet und der silberne Becher und das Waizenbrödchen tief in seinem Innersten verwahrt, so daß Niemand im Stande war, diese heilbringenden Gaben dem Stamme zu entwenden. Den Ring aber trug die, der er geschenkt worden war, unablässig an ihrer Hand. Nach ihrem Tode erbte er als ein Altentheil, der Vorschrift gemäß, von Glied zu Glied fort, und das Geschlecht war seit dem Besitze dieser Zaubergaben immer größer, reicher und angesehener geworden. Aber, wie es oft geschieht, daß man das Glück, das man schon an den Fittigen hält, sich dennoch wieder entwischen läßt, so ging es auch hier. Es war einst eine Besitzerin dieses Ringes so unvorsichtig, – ihn zu verlieren, und alles Nachsuchens ungeachtet war er schlechterdings nicht wieder aufzufinden.

Trostlos brach die Familie in heiße Klagen aus und fürchtete nun den Zorn jener Wesen, deren Huld sie sich bisher zu erfreuen gehabt hatte, er fahren zu müssen. Und dies nicht ohne Ursache, denn – ein heftiges Ungewitter erhob sich bald über jenem alten Thurme, der als Trutz- und Schutzwehr dieser Geschenke, gleichsam der Stammhalter des ganzen Geschlechts gewesen war, spaltete ihn mit einem furchtbaren Blitz und Gekrach von oben bis unten und verschlang in einem Nu die verehrten Heiligthümer.

Die Verheißung des Ueberbringers jener Geschenke traf leider wörtlich ein; denn so sehr dieses Geschlecht während des ungestörten Besitzes jener Geschenke von einem glücklichen Schicksale begünstigt gewesen war, so verlassen war es von demselben, als der Besitz derselben ihm verloren ging; denn sowohl seine Größe als sein Wohlstand verminderte sich von nun an zusehends.

Anmerkungen:

  1. Diese Geschichte soll sich bald in dem, bald in jenem Geschlechte zugetragen haben, denn jeder Erzähler weiset ihr einen andern Standort an, wenigstens treffen die Geschichten, die man in der und jener Sippschaft als alte Stammsagen hat, alle darauf hinaus, däß das Gastmahl der Querre durch eine unvermuthete Todesbotschaft gestört worden sei, wenn auch der wunderbaren Geschenke dabei nicht allemal Erwähnung geschieht. In einer Familie hat der Unglücksbote gerufen: „der König ist todt!“ – und in einer andern wieder: „Urban ist todt!“ – Wer dies gewesen, darüber schweigt die Sage.
    1. Die Geschichte mit dem Ringe scheint auch in Thüringen und im übrigen nordwestlichen Deutschland unter die Sagen hoher Geschlechter zu gehören; denn ein Herr von Ponickau aus Thüringen, dem sie in der Lausitz auf einem Dorfe als Märchen erzählt wurde, versicherte, daß dies ihm schon von Jugend auf aus seinem Geschlechte bekannt sei und bestätigte sie insofern, daß er behauptete, es gäbe in seiner Geschlechtsurkunden-Sammlung sogar eine Menge von Verhandlungen, die einen Rechtsstreit enthielten, der in dem Ponickau'schen Geschlechte gegen einen Seitenzweig geführt worden sei, welcher den Ring verloren und das Geschlecht dadurch um sein Glück gebracht habe. (Busching I. S. 102.)
    2. Ein Zwerglein verehrte dem Grafen Hermann im Schlosse Rosenberg goldene Sandkörner (Apels Gespensterbuch S. 279.)
    3. Die Aarburge erhielten einen köstlichen Schmuck durch die Ahnfrau Ursula (Apel S. 255.).
    4. Die Bünaue zu Bomsen drei Brödchen (der Freimüthige 1814 S. 209.)
    5. Die Asseburge zwei noch vorhandene Krystallbecher (Spiecker, der Harz, Berlin 1852 S. 168.).
    6. Die Stahl eine silberne Kanne mit der Jahreszahl 1500 (A. Kuhn in v. d. Hagens Germania 9, 25.).
    7. Das Haus Kalbe und die Alvensleben einen Erbring. (Monatliche Unterredungen Leipzig 1698 S. 524.)
  2. Zu Wil im Aargau spielt ein Bettelweib die Zwergamme (Rochholz S. 264.). Ein Bauermädchen verrichtet auch noch dazu die Nothtaufe (S. 269.). Erdweibchen in Geburtsnöthen kommen in allen deutschen Gauen vor (eine Zusammenstellung siehe bei Rochholz S. 339.). Das Verhältniß ist auch manchmal umgekehrt und dies, wie es scheint, das ursprüngliche. Im Dänischen und Schwedischen sagt man: jord-gumma (Erdgäumerin), jordemodr (Erdmutter) für Hebamme.
  3. Die Gaben haben meist Bezug auf Ehe, Fruchtbarkeit, Geburtserleichterung. Besonders bilden Ringe, Becher und Brod eine schöne Zusammenstellung. Auch bei den lausitzischen Hochzeitsgebräuchen spielt der Becher eine darauf bezügliche geheimnißvolle Rolle.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862