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Hellseherin

  Mündlich von einer Waschfrau in Guben

Frau N. in Grocho ging, wie es dunkel ward, vom Felde heim. Als sie an den Lauch kam - dort ist eine Art Teich - sah sie einen großen schwarzen Hund kommen. Er hatte die Zunge lang zum Halse heraushängen, und die brannte wie das helle Feuer. Die Frau ging ihm aus dem Wege; er lief aber ruhig weiter. Es war in der Dunkelstunde. Wenn Tag und Nacht sich scheiden, dann passiert immer so etwas.

Die selbe Frau sah alles, was andere Leute nicht sahen: weiße Ochsen, große schwarze Hunde. Sie träumte auch alles aus, und es traf immer ein. Einmal sah sie im Garten des Nachbars einen weißrotbunten Ochsen; bald darauf starb in dem Hause jemand. Als Grund für ihr Hellsehen führte sie selber an, sie wäre als ganz kleines Kind so oft um Mitternacht von der Mutterbrust entfernt gewesen, weil ihre Mutter nachts in die Mühlen Leinöl schlagen ging.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894