<< Der Garnmann | Niederlausitzer Volkssagen | Der Tote als weiße Gestalt >>

Der Spuk im Sterbehause

  Von der Witwe des Verstorbenen, welche die Begebenheit einer Frau aus ihrer Verwandtschaft erzählt hat 

Als Herr S. in Guben gestorben war, ereignete sich in seinem Hause folgendes: Wenn Frau S. des Abends bei der Lampe saß, bemerkte sie auf dem Bett, dem Sofa oder an den Wänden ein hell erleuchtetes „Kullerchen“. Plötzlich war dasselbe an der Decke über der Lampe, tanzte wie ein feuriger Apfel einen Augenblick im Kreise herum, fuhr dann herunter auf die Lampe und löschte sie aus.

Eines Abends hatte die Frau ihr Kind schon zu Bett gebracht, und auch das Dienstmädchen war schlafen gegangen, nur sie saß noch am Tische bei der Lampe. Da geschah dasselbe wieder. Sobald die Stube finster war, lief die Frau hinaus und holte ihre Schwester, die gegenüber in einem Hause wohnte. Als nun die beiden Frauen zurückkehrten und in die Stube traten, sahen sie zwar nichts mehr; aber Kind und Dienstmädchen schrieen um die Wette.

Derselbe Spuk kam immer wieder, wohl sechs Wochen lang. Dann fiel der Frau des Verstorbenen ein, daß ihr Mann bei Lebzeiten den Wunsch gehabt hatte, in einem Erbbegräbnis zu ruhen. Sie kaufte ein solches, ließ die Leiche wieder ausgraben und in demselben beisetzen. Seitdem blieb der Spuk weg.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894