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Ein Mann trägt seine verstorbene Frau

  Mündlich

Ein Mann aus Wellmitz im Kreise Crossen, das auch Wendisch Wellmitz genannt wird, ging einmal nach Jähnsdorf in die Ölmühle. Als er mit Ölschlagen fertig war und sich wieder nach Hause begab, schlug er einen Fußweg ein, der über den Kirchhof führte. Seine Frau aber war gestorben, und ihr Grab befand sich dicht am Steige. Als er an dasselbe herankam, sagte er: „Meine liebe Annliese, wenn ich dich heute mitnehmen könnte!“ Kaum hatte er das gesagt, so sprang ihm jemand von hinten auf den Rücken, und die Haare des Heraufgesprungenen hingen ihm in das Gesicht.

So mußte er noch Stunden weit gehen. Da er an das Schloß zu Wendisch-Wellmitz kam, liefen ihm die Hunde bellend entgegen. Nun wurde es ihm auf einmal so leicht, und das, was auf seinem Rücken saß, war er los. Er sah sich jetzt zwar um, bemerkte aber nichts. Der Schweiß rann an ihm herunter. Als er zu Hause ankam, sagten seine Kinder zu ihm: „Vater, Ihr seht ja ganz weiß aus!“ Er sagte aber nichts; sie gaben ihm zu essen, er aß jedoch nicht. Am andern Morgen erzählte er es ihnen, daß er seine Frau bis an das Schloß getragen hätte. Er ist noch an dem selben Tage gestorben.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894