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Der Tote ohne Grabesruhe

  Von Frau Mehley in Lahmo

Es ist schon sehr lange her, als der alte Mehley zu Lahmo in den Wiesen bei Bessers Schloß1) mit seinen zwei Söhnen Gras mähte. In der Mittagsstunde legten sie sich auf den Schloßberg schlafen. Da wurde der ältere der Söhne „gehuscht“2). Er glaubte, daß ihm der jüngere den Schabernack gespielt habe und sagte ihm, er solle das sein lassen; dieser leugnete jedoch die That.

Nach einer Weile glaubte der ältere Bruder wieder „gehuscht“ worden zu sein und er gab dem jüngeren eine Ohrfeige. Als dieser aber beteuerte, daß er unschuldig sei, sprach der Vater: „Ich werde munter bleiben und aufpassen!“

Es dauerte nicht lange, so sprang der älteste Sohn wieder aus seinem Schlafe auf und behauptete, er wäre „gehuscht“ worden. Da sagte der Vater: „Das geht hier nicht richtig zu; hier müssen wir nachgraben!“ Als sie das thaten, fanden sie dicht unter der Oberfläche ein vollständiges menschliches Gerippe. Jetzt sprach der Vater: „Warte, warte, ich werde dich tiefer legen, damit du Ruhe bekommst!“ und er machte ein ordentliches tiefes Grab und senkte die Knochen des Toten ein.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894


2)
An den Haaren gezupft