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Die Isis in der Lausitz

  Aventin. ann. Boj. L. I., p. 19. Tacit. germ. c. 39. 
  Jodocus Wilichius in Schradii. T. I., p. 34. 
  Grosser, S. 5. N. L. Mag. 1827.

Unter den Sueven waren die Semnonen das älteste und edelste Volk. Sie hatten in der Lausitz, wo jetzt Görlitz liegt, einen großen heiligen Hain. Daselbst hielten sie gewisse Zusammenkünfte, wozu alle aus demselben Blut entsprungenen Stämme Abgesandte schickten, und brachten ein öffentliches Menschenopfer.

Die Semnonen waren aber ein wildes, herumziehendes Volk, trieben nichts als Krieg und Jagd und lebten nur von Viehzucht, Wurzeln, Kräutern und Baumfrüchten. Da ist aber die Königin von Aegypten und Mutter des Herkules, Isis, welche nach der Ermordung ihres Gemahls Osiris landflüchtig geworden war, auch in diese Gegend zu dem Könige Suevus gekommen und hat das Volk den Getreide- und Feldbau und die Bereitung des Mehles und Brodes gelehrt und hat also bei den Semnonen eine solche Verehrung erhalten, daß sie dieselbe als eine Göttin in ihrem heiligen Haine angebetet haben.

Als die Heidenbekehrer Cyrill und Method in die Oberlausitz kamen, fanden sie in einem Haine bei Görlitz den Götzendienst der Isis, zerstörten ihr Bild und gründeten mitten im Walde eine Kirche.

Anmerkungen: Im westlichen Deutschland erinnern manche Städtenamen an Isis. Ihr Kultus fällt bei den Deutschen wohl mit dem der Fruchtbarkeitsspenderin Hertha, bei den Slaven vielleicht mit dem der Siwa zusammen. Möglich auch, daß die Zisa, Cisa, Cizais der Sueven gemeint ist, (Witech. Corbej. p. 683. Grimm, S. 188), die eine Ernte göttin war, deren Fest um Michaelis gefeiert wurde und als das Hauptfest des Jahres galt. Grimm weiß diese Göttin und ihren Namen nicht zu erklären. Auch er erinnert an die Isis. Was den Namen betrifft, so scheint derselbe von einem Stamme mit dem der slavischen Fruchtbarkeitsgöttin Ziza, was für die Lausitz die Konsequenz hat, daß man bei manchem auf Ziza zurückbezogenen Ortsnamen nun auch eine frühere Gründung durch die Deutschen und eine Benennung nach jener Cisa annehmen kann. Sollten die Zies- und Zeisigberge der Lausitz nicht nach einer solchen Gottheit genannt sein? (cf. Grimm, Mythol. » S. 133, wo er diese Namen auf den hochdeutschen Zys bezieht). Ob die Sage mit der Kirche die zu Jauernick oder Nieda oder Görlitz oder Königshain, oder vielleicht gar die zu Tachau in Böhmen meint, ist unentschieden.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862