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Hans auf dem Grabe

  Mündlich von Frau Koppe in Guben, welche die Sage von ihrem Stiefvater in Seitswann gehört hat

In Seitwann war ein Mann gestorben, der hieß Hans. Den sahen die Leute des Abends immer auf seinem Grabe sitzen. Eines Tages kam ein Dienstmädchen in die Spinnstube und sagte: „Hans sitzt schon wieder auf seinem Grabe!“ und scherzend setzte sie hinzu: „Ich werde ihn doch einmal mitbringen!“ Es waren aber auch junge Burschen in der Spinnstube; die sprachen zu dem Dienstmädchen: „Wenn du Hansen herholst, schenken wir dir einen neuen Friesrock!“

Da machte sich das Mädchen auf und ging auf den Kirchhof und sagte zu Hansen: „Hans, hucke auf!“ Er sprang ihr richtig auf den Rücken, und sie trug ihn zur Spinnstube und stellte ihn an die Thür. Nun war der Übermut dahin und die Sorge groß, wie man Hansen wieder los werden würde. Endlich verfiel man darauf, den Prediger holen zu lassen. Dieser sagte, er wolle Hansen Ruhe verschaffen, und er forderte das Dienstmädchen auf, den Toten in die Kirche vor den Altar zu tragen.

Als sie an die Kirchthür tamen, kniete dort schon eine verstorbene Sechswöchnerin, mit der sich Hans bei Lebzeiten verquert (gezankt) hatte. Der Pastor nahm die beiden Verstorbenen zum Altar und ließ sie dort niederknien, und der Prediger sprach das Wort Gottes über sie; da waren beide verschwunden, und man hat Hansen nicht mehr auf dem Grabe gesehen.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894