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Die Wasserjungfer im Henzendorfer See

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  Mündlich von dem blind geborenen E. Triebse in Henzendorf 
  und der alten Frau Bandow in Fünfeichen.

Im Dorfsee zu Henzendorf soll sich ein verwünschtes Schloß befinden, in dem eine Wasserjungfer wohnt. Ein Schäferknecht, der sie einmal am See traf, wurde von ihr gebeten, er möchte ihr doch ein Stückchen Brot bringen, dann wollte sie ihn glücklich machen; er sollte aber keinem Menschen etwas sagen. Da der Knecht jedoch in Diensten stand, durfte er sich selber keine Schnitte Brod abschneiden und so ließ er sich von der Wirtin eine solche geben, wobei er indes auch sagte, daß ihn ein junges Mädchen am See um ein Stück Brot angesprochen habe. Damit hatte er aber einen Fehler gemacht; denn als er an den See kam, war die Jungfer verschwunden.

Jetzt ist sie schon lange von niemand mehr gesehen worden; sie soll nämlich nur alle hundert Jahre einmal aus der Tiefe des Wassers emporsteigen. Die Wasserjungfern waren halb Mensch, halb Fisch; ihr Unterkörper lief in einen Fischschwanz aus; sie konnten sehr schön singen, auch im Henzendorfer See haben sie manchmal gesungen. Früher haben die Leute in der Osternacht in dem See gebadet; es soll das sehr gesund sein; man wird davon die Kälte (das kalte Fieber) und die Gnatze (Krätze) los. Manchmal ist das Eis immer um die Badenden „herum gescherbelt“, und sie haben sich doch nicht erkältet.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894