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Schwanhilde

  Sandow

In einem grossen Walde lebte einstmals ein Forster mit seinem Sohne, seine Frau war gestorben. Der Förster litt öfter an Kopfschmerzen. Da träumte ihm einmal, wenn er in der Nacht ein Tuch in das Wasser eines nahen Heilbrunnens tauche und dann dasselbe auf den Kopf lege, so werde er gesund werden, das Tuch aber müsse gefunden sein. In der nächsten Nacht schickte er die Magd an den Heilbrunnen. Diese sah im Mondenschein auf einem See neben dem Brunnen drei Schwäne schwimmen, am Ufer aber ein junges Mädchen im Grase liegen und nicht weit von derselben ein Schleiertuch. Die Magd nahm das Schleiertuch, eilte zum Heübrunnen, tauchte dasselbe darin ein und brachte es zum Forster. Der legte es auf den Kopf und wurde seine Kopfschmerzen auf einmal los. Zugleich mit der Magd hatte sich auch das Mädchen, welches am See im Grase gelegen, bei dem Förster eingefunden. Als es Morgen wurde, kamen drei Schwäne zu der Försterei, klopften an das Fenster und baten, der Forster mochte das junge Madehen erziehen lassen, sie würden für das nothige Geld, was er dazu verwenden werde, sorgen. Das Mädchen blieb nun auch auf der Forsterei und wurde mit dem Sohne des Försters erzogen; man nannte es Schwanhilde und immer von Zeit zu Zeit kamen die Schwäne und brachten Gold und Kostbarkeiten. Dem Jägerburschen war verboten worden, auf die Schwäne zu schiessen. Dieser aber kehrte sich an das Verbot nicht und erschoss eines Tages einen der Schwäne. Da warf sich das junge Mädchen jammernd auf den Schwan und obwohl es Niemand wusste, hatte es seine Mutter beweint.

Nun war aber die Zeit herangekommen, dass Schwanhilde eingesegnet werden sollte. Man wollte ihr zu diesem Zwecke einen Schleier kaufen, allein da das Schleiertuch noch vorhanden war, welches einst die Magd am See gefunden hatte, so wurde sie damit geschmückt. Als sie nun so mit dem Schleiertuch zur Kirche ging, flogen zwei Schwäne über ihr Haupt dahin; alsobald verwandelte sich auch Schwanhilde in einen Schwan und flog mit denselben davon. Aus der Höhe aber fiel ein gestickter Gurt zu den Füssen des Sohnes des Försters nieder, der so kostbar war, dass Alles an ihm von Gold und Edelsteinen nur so leuchtete und blitzte. Ein Goldschmied, dem man den Gurt zeigte, meinte, derselbe sei so kostbar, dass ihn nur eine Kaisertochter getragen haben könnte.

Als der junge Förster sein achtzehntes Jahr erreicht hatte, nahm er den Gurt an sich und beschloss, Schwanhilde zu suchen. Er zog durch viele Länder und kam endlich auch in die Türkei zum Sultan. Dort hörte er, die Tochter des Sultans sei viele Jahre in der Fremde gewesen, jetzt aber wieder daheim; da vermuthete er, das möchte Schwanhilde sein. Er nahm deshalb Dienste bei dem Sultan; als er einige Zeit bei Hofe gewesen war, gelang es ihm, einen der schwarzen Sklaven an die Tochter des Sultans am senden, welcher sie fragen sollte, ob sie früher bei einem Förster gelebt habe. Als die Tochter des Sultans die Botschaft vernahm, freute sie sich, dass der junge Forster sie aufgesucht habe, denn sie war wirklich Schwanhilde. Sobald es anging, liess sie ihn zu sich bescheiden. Die beiden jungen Leute liebten, sich; deshalb war es fär beide ein grosser Gram, dass der Sultan seine Tochter zwang, einen Fürsten zu heirathen. Bei der Hochzeitsfeier aber trank Schwanhildes Gatte zu viel, fiel um und war todt. Nun sollte die Tochter als Wittwe mit dem Leichnam ihres Mannes verbrannt werden, sie bat aber um einen Aufschub von drei Wochen und erhielt ihn auch. Während der Zeit liess der Förster, mit dem die junge Wittwe Alles verabredet hatte, von vielen hundert Bergleuten einen unterirdischen Graug machen; der Gang war vierundzwanzig Meilen lang und führte von dem Fleck; auf welchem der Scheiterhaufen errichtet war; unter der Erde weg bis in die Nähe des Meeres. Dort liess er eine Kutsche halten, ganz mit Gold beladen und bespannt mit vier feurigen Rossen; in welcher die Liebenden entfliehen wollten. Als nun der Tag herangekommen war, an welchem die Tochter des Sultans verbrannt werden sollte, wurde dieselbe auf den Scheiterhaufen geführt, dann zündete man das Feuer an. Darauf erhoben die Umstehenden einen schrecklichen Lärm, damit man das Schreien der Unglücklichen nicht hören könne. Kaum brannte das Feuer hell auf, so kam der junge Forster, als Teufel gekleidet, aus dem unterirdischen Gang hervor, ergriff die junge Wittwe und zog sie mit sich in die Tiefe. Die Leute aber glaubten, der Teufel habe sie geholt.

Glücklich gelangten die Fliehenden durch den Gang in das Freie, setzten sich in die Kutsche und fuhren mehrere Stunden weit, bis sie an das Meer kamen. Das Meer war aber nicht tief, so dass sie glücklich hindurchfahren konnten. Darauf kamen sie in ein anderes Land, in welchem wieder ein grosses Meer war, darin aber war kein Wasser, sondern Sand. In diesem Sandmeer waren schon viel Menschen umgekommen, allein es gelang den Fliehenden glücklich, fast das Ende desselben zu erreichen. Plötzlich erhob sich ein furchtbarer Sturm, ein Sandberg verschüttete die Kutsche zur Hälfte. Jetzt war aber auch das Ende des Sandmeeres erreicht. Die jungen Leute vermochten sich und das Gold zu retten, kauften aufs Neue Wagen und Geschirr und kamen endlich in der Försterei an. Dort wurden sie freudig empfangen. Der junge Förster heirathete die Tochter des Sultans. Beide lebten, nachdem sie in die Stadt gezogen und für das viele Geld sich ein prächtiges Haus gekauft hatten, lange Jahre glücklich und zufrieden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880