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Zwei Brüder

  bei Vetschau R 

In einem Dorfe wohnten zwei Brüder, ein kluger und ein dummer, welche zusammen eine grosse Viehherde besassen. Einstens sprach der kluge Bruder zu dem dummen: „Wir wollen zwei Ställe bauen und der soll das Vieh haben, zu dessen Stall die meisten Binder hinlaufen.“ Der kluge baute einen Stall aus Holz, der dumme aber einen Stall aus Basen. Als es Abend war, und die Heerde von der Weide heimkehrte, liefen die meisten Ochsen and Kühe zu dem grünen Basenstall und nur ein lahmer Ochse schleppte sich langsam nach dem Holzgebäude. Der dumme Bruder hatte also den Vortheil davongetragen und der kluge sich betrogen. Darauf sprach der kluge Bruder zu dem dummen: „Du kannst mir Deine Heerde geben. Du sollst dafür meinen Ochsen haben.„ Der dumme Bruder sprach: „Meinetwegen nimm sie hin.“ Er war mit dem lahmen Ochsen zufrieden. Den andern Tag nahm er seinen Ochsen, um mit ihm nach der Stadt zu ziehen und ihn dort zu verkaufen. Er kam in einen Fichtenwald an eine grosse starke Fichte, welche klirrte. Da sprach der Dumme zu der Fichte: „Willst Du kaufen?“ Die Fichte klirrte wieder. Darauf sprach der Dumme: „Was willst Du geben?“ Da klirrte die Fichte wieder und der Dumme sprach: „Du sollst ihn haben.“ Darauf band er den Ochsen an den Baum und sprach zu der Fichte: „Morgen komm' ich wieder und hole das Geld.“ Am andern Tage ging er zum Wald und nahm eine Axt mit. Der Ochse aber war nicht mehr an dem Fichtenbaum. Da sprach der Dumme: „Willst Du zahlen?“ und die Fichte klirrte wieder. Darauf nahm er seine Axt und schlug damit tüchtig auf den Fichtenbaum los; sogleich fiel eine unermessliche Menge Geld aus dem Baume heraus.

Eilig lief er nun zum Dorfe zurück und sprach zu seinem Bruder: „Spanne schnell an, denn ich habe für den Ochsen viel Geld bekommen.“ Der kluge Bruder aber lachte und sprach: „Was Du bekommen hast, weiß ich schon, nichts“ Der dumme aber liess ihm keine Ruhe und der kluge musste anspannen. Die Brüder kamen an die Fichte und richtig, da lag ein grosser Haufen Geld. Sie machten sich nun an die Arbeit, sackten das Geld ein und luden es auf den Wagen. Als sie eine Strecke gefahren waren, kamen Leute des Weges, welche sprachen: „Was habt Ihr geladen?“ „Aepfel,„ sprach der Kluge, der Dumme aber hinterdrein „Geld“ Die Leute sagten: „Dann behalte Du nur Deine Aepfel und Du Dein Geld“; mit diesen Worten gingen sie ihrer Wege. Nachdem die Brüder nach Hause gekommen waren, sprach der kluge: „Ich werde Dir eine Pfeife geben, und wenn Du pfeifst, so tanzt alles; gieb mir dafür Dein Geld.“ Der Dumme war damit zufrieden und der Kluge hatte das Geld. Der Dumme ging nun auf die Wanderschaft und vermiethete sich bei einem Priester als Schafhirt. Wenn er auf dem Felde allein war, so nahm er seine Pfeife und blies darauf; dann fingen die Schafe an zu tanzen. Bald erzählten die Leute dem Priester, dass der Hirt die Schafe nicht fressen lasse, sondern dass die Thiere bei demselben tanzten. Der Priester sprach: „Da muss ich selber nachsehen, ob das wahr ist.„ Er ging auf das Feld. Der Dumme trieb gerade seine Schafe nach Hause als der Priester kam; er nahm seine Pfeife hervor und blies darauf. Da tanzten die Schafe immer hinter dem Hans her mit sammt dem Priester, und auch die Leute, welche den Ton der Pfeife horten. Als sie nach Hause gekommen waren, sprach der Priester: „Solchen Hirten kann ich nicht gebrauchen, fordere Deinen Lohn und dann geh Deiner Wege.“ Da sprach der Dumme: „Gebt mir eine Hirsestampfe, wenn Dir eine solche habt, dann bin ich zufrieden.“ Der Priester gab ihm eine Hirsestampfe und der Dumme ging damit seiner Wege. Als er seinen Bruder traf, fragte ihn derselbe: „Wo gehst Du hin?„ Der Dumme sprach: „Auf die Wanderschaft, Da kannst mitkommen.“ Der Bruder war dazu bereit. Bald kamen sie in einen grossen Wald, und um sich in der Nacht Vor den wilden Thieren zu sichern, kletterten sie auf einen hohen Baum. Der Dumme nahm seine Hirsestampfe mit hinauf, so sehr der Kluge auch darüber lachte. Die Brüder hatten noch nicht lange auf dem Baum gesessen, als Leute in den Wald kamen, die setzten sich auch unter den Baum, auf welchem die Brüder sassen. Diese horten sie sprechen: „Hier wollen wir übernachten, denn hier ist gut ruhn.“ Der Dumme aber liess von oben seine Hirsestampfe und noch etwas anderes fallen. Da glaubten die Leute, es wären böse Geister oben im Baume, liessen ihre Beute, denn es waren Räuber, im Stich und liefen eilig davon. So sind die Brüder sehr reich geworden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880