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Gutentag und Gutenabend

Es war einmal eine arme Wittwe, die hatte zwei Söhne, der älteste davon hieß Gutentag, der jüngste Gutenabend, beide Knaben waren gut und fromm; denn die Mutter hatte sie in Gottesfurcht auferzogen und Jedermann liebte sie deshalb. Die Mutter wurde einst krank und fühlte, daß sie bald sterben müßte. Da rief sie die beiden Kinder zu sich und sprach: Kinder, ich werde nicht lange mehr leben, verspracht mir aber bei eurer Liebe und Seligkeit, daß ihr fromm und gut bleiben wollt und stets auf Gott vertrauen, dann wird er euch nicht verlassen. Die Knaben weinten und versprachen's der Mutter, gut und fromm zu bleiben. Bald darauf starb die Mutter, und die Kinder folgten ihrer Leiche. Als sie vom Kirchhof zurückkamen, sprach Gutenabend zu Gutentag: Ach, wer wird nun für uns sorgen und sich unserer erbarmen, wenn wir hungrig sind und matt? Gutentag sagte aber: Sei ruhig, lieber Bruder, sorge nicht. Weißt du nicht, was die Mutter sagte, als sie bald sterben wollte? Der liebe Gott im Himmel wird für uns sorgen; darum laß uns zusammen fort gehen und ein Unterkommen suchen. Das müssen wir thun. Darauf nahmen sie ihre wenigen Habseligkeiten und wanderten aus. Es war schon Abend, als sie in eine große Stadt kamen. Hier giengen sie von Haus zu Haus, Straße auf und nieder, aber Niemand war zu finden, der die Knaben aufnehmen und versorgen wollte. Da hörten die Kinder, daß ein vornehmer Herr einem andern zurief:

Guten Abend, guten Abend! Geschwind lief Gutenabend hin zu dem Manne, denn er meinte, der Herr riefe ihn, und fragte, was er solle. Doch dieser fuhr den Knaben hart an und nannte ihn einen dummen Jungen. Gutenabend gieng betrübt zu seinem Bruder zurück. Die Sonne gieng unter, es fieng an dunkel zu werden und noch immer hatten sie kein Unterkommen gefunden. Hungrig, traurig und müde legten sie sich unter einen Baum, beteten aber erst zum lieben Gott, er möge sie beschützen und schliefen darauf bald ein. Am folgenden Tage giengen sie weiter, kamen in manches Dorf, fanden aber immer noch kein Unterkommen, bis sie zulegt ein guter Bauersmann anredete und zu ihnen guten Tag sagte. Gutentag gieng natürlich gleich zu ihm und fragte, was er solle. Dem Manne gefielen die Knaben, sie mußten ihm ihre Geschichte erzählen, davon wurde er so gerührt, daß er sie zu sich nahm. Nun hatten sie ein Unterkommen. Der Mann sagte, wenn Gutenabend seine wenigen Schafe und Gaisen hüten und Gutentag auf dem Felde mit helfen wollte, so würde er ihnen gern Essen und Trinken und alles geben, was sie nöthig hätten. Die Knaben versprachen, recht gern arbeiten zu wollen, was ihr Wohlthäter haben wolle.

Gleich am ersten Tage, als Gutentag auf dem Feld mit grub, kam sein Spaten auf etwas Klingendes; er machte es bloß und siehe, es war eine Kiste mit Gold und darin lag ein Zettel, auf welchem geschrieben stand: „Freue dich, du Glücklicher, das ist dein. Wende es nützlich an.“ Gutentag rief sogleich seinen Wohlthäter und zeigte ihm den Schatz. Der gute Mann freute sich herzlich über den Fund und beide brachten ihn in Sicherheit. Des Abends kam Gutenabend mit einer ganzen Menge Schafe und Ziegen nach Haus. Woher hast du die vielen Schafe und Ziegen, fragte er den kleinen Hirten, ich habe dir nur zwei Schafe und zwei Ziegen gegeben? Der Knabe aber behauptete, er habe gleich so viel gehabt und weiter wisse er nichts. Da nahm sie der Landmann in seinen Stall und behielt sie. Er sollte aber nicht lange in Ungewißheit bleiben, woher das Alles gekommen sei. Als sie des Abends in der Dämmerung bei einander saßen und von den Erlebnissen sich erzählten, wurde es mit einemmal hell im Zimmer, eine bildschöne, glänzende Frau trat zu ihnen, das war aber eine wohlthätige Fee, lächelte sie freundlich an und sagte zu dem Landmann: Du hast dich der armen Kinder erbarmt, dafür habe ich dich wieder belohnt. Der eine hat Dir einen guten Tag und der andere einen guten Abend gebracht. Damit war sie verschwunden. Der Landmann und die beiden Knaben blieben aber bei einander, bis sie der Tod trennte. Geld und Gut hatten sie genug. Dabei blieben sie aber auch gut.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862