<<< zurück | Sagen und Märchen aus dem Oberharz

Die Stiefgeschwister

Einem Bergmann war die Frau gestorben und hatte ihm ein niedliches Mädchen hinterlassen; dagegen war einer Frau der Mann gestorben und deren Tochter vaterlos geworden. Das war jammervoll, doch sollte es so sein. Nach der Trauerzeit kam der Wittmann zu der Wittfrau, fie wurden ihres Krams eins, und ehe ein Jahr vergieng, waren sie Mann und Frau und die Kinder hatten wieder Eltern. Der Vater hatte zwar sein und seiner Frau Kind lieb; die Mutter hieß aber und war auch eine Stiefmutter gegen das Kind ihres Mannes.

Die Strafen blieben aber nicht aus. Nach Verlauf des zweiten Jahres war die Frau abermals Wittwe und mußte nun statt eins, zwei Kinder ernähren. Da bekam es die Stieftochter aber erst recht schlimm, und mußte alles thun und wäre sie dabei liegen geblieben. Einst sagte die grausame Mutter zu dem Mädchen, hier hast du einen Korb, nun geh hinaus in den Wald und such Heidelbeeren, bist aber vor Nachtwerden wieder da. - Nun denke man sich, es war Winter, der Schnee lag wie hoch, und das Mädchen sollte Heidelbeeren holen! — Doch in Allem gehorsam, gieng es getrosten Muthes fort und dachte nicht einmal daran, daß es in der Zeit, wo Alles mit Schnee so hoch bedeckt war, gar keine Heidelbeeren geben konnte.

Im Walde angekommen, sah es ein Feuer, gieng darauf los und sieh, es saßen drei kleine Männlein dabei. Das Mädchen fragte, ob es sich wohl ein wenig wärmen dürfe? O ja, sagten die Zwerge, seße dich her und erquicke dich. Es segte sich und holte sein Stückchen Brot aus dem Korbe, daß ihm seine Stiefmutter mitgegeben hatte. Als es anbiß, sagten die drei Kleinen, gieb uns doch auch ein bischen. Es theilte sein Brot, und gab jedem einen Bissen und behielt eben so viel. Nun fragten die Zwerge, was es hier wolle? Ach, sagte das Kind, ich soll Heidelbeeren holen, hat mir meine Mutter befohlen. Die sollst du auch mitnehmen, sagten die kleinen Leute. Hier nimm den Besen, gehe dort auf jenen freien Fleck (sie saßen unter hohen Tannenbäumen) und kehre den Schnee weg, dann wirst du Heidelbeeren in Menge finden. Das Mädchen that, wie sie ihm sagten und fand so viel Heidelbeeren, recht dick, blau und süß, daß es bald seinen Korb voll hatte. Nun brachte es den Besen wieder zu den Leutchen und bedankte sich schön, dann sagte es Adieu und gieng wieder nach Haus.

Als es fortgieng, sagte der eine Zwerg, laßt uns ihm auch noch etwas wünschen, es ist so gut und verdient, daß es glücklich wird. Da wünschte ihm der Eine: Bei jedem Worte, das es spräche, solle ihm ein Goldstück aus dem Munde fallen. Der zweite wünschte: Es solle goldene Haare bekommen. Der dritte: Seine Schönheit solle immer größer werden, so daß es das allerhübscheste Mädchen würde.

So kam das Mädchen nach Haus und die Mutter wunderte sich nicht wenig, als es sagte: Hier, Mutter, sind Heidelbeeren, ganz frisch und schön, und ihm bei jedem Wort ein Goldstück aus dem Munde purzelte. Da machte die Mutter große Augen und ein freundliches Gesicht, so freundlich, wie sie noch keins vorgeschnallt hatte. Am andern Morgen schickte die Mutter ihr Mädchen in den Wald, unter dem Vorwande, es solle Heidelbeeren holen, eigentlich aber, daß, wenn es zurückkäme, ihm auch Goldstücke aus dem Munde fallen sollten. So dachte die Mutter. Es kam aber anders.

Dem Mädchen war der Korb, den es mitnahm, recht gespickt mit Eßkram, Wurst, Brot und Leckereien. Es kam auch zu dem Feuer, bei welchem die kleinen Leutchen noch saßen. Ohne zu fragen, setzte es sich zu ihnen und wärmte sich, dann holte es sein Essen heraus, fieng an zu schmausen, daß ihm der Mund schäumte und kümmerte sich gar nicht um seine Gesellschaft. Endlich sagte der älteste Zwerg: Liebes Mädchen, gieb uns doch ein wenig von deinem Essen. Ach was, sagte es, das schmeckt mir selbst gut, der Tag ist noch lang, ich brauche noch viel. Da wurden die Kleinen traurig; das Mädchen kehrte sich aber nicht daran. Am Ende fragte der eine Zwerg, was es denn hier wolle? Es antwortete: Heidelbeeren wolle es pflücken.

Da geben sie ihm einen Besen, und zeigen ihm einen freien Plag. Unter dem Schnee ständen ge= nug. Das Mädchen nahm den Besen, gieng hin und kehrte den Schnee weg. Heidelbeerenkraut kam auch vor, statt der Beeren saß aber so etwas daran, was man im Ziegenstall findet, und das wollte das Mädchen nicht mitnehmen. Ärgerlich warf es den kleinen Leutchen den Besen zu und gieng nach Haus. Als es trotzig fortgieng, wünschten ihm die Zwerge, der Eine: Es solle ihm bei jedem Worte, das es spräche, eine Kröte aus dem Munde springen. Der Zweite: Es sollten ihm ein paar Hörner aus dem Kopfe wachsen und der Dritte: Es solle immer häßlicher werden. Als es nach Haus kam und voll Groll und Ärger feiner Mutter erzählen wollte, was ihm begegnet wäre, sprangen ihm lauter Kröten aus dem Munde, so daß die Mutter ihm befahl, nicht weiter zu reden. Das war aber ein Malheur. Gern hätte die Stiefmutter die Stieftochter aus Neid fortgejagt, wären ihr nicht die Goldstücke so sehr lieb gewesen, deshalb behielt sie sie und sah wie sie immer älter und hübscher wurde.

Der Ruf von dem hübschen Mädchen hatte sich bis zum König erstreckt und dieser, davon angezogen, kam und wollte das Wunderkind sehen, und da er zugleich auch eine Frau suchte, und das Mädchen ihm gefiel, so machte er es zu seiner Gattin. Nach einem Jahr war ein kleiner Prinz da und nun war Freude über Freude. Da wurde dem König Krieg angesagt und er mußte selbst mit fort. Kaum war er aber weg, so war auch seine böse Schwiegermutter mit ihrer furchtbar häßlichen Tochter da, und da sie sich so freundlich stellten, wurden sie eingelassen und blieben kurze Zeit bei der Königin. In der Zeit, wo die Mutter mit ihrer Tochter noch allein war, hatte das böse Weib das Hexen und Verwünschen gelernt und wollte es nun zuerst an der Königin versuchen.

In einer der Nächte, wo die Alte bei der Tochter wachte, machte sie den Prinzen todt und verwünschte die Königin in einen Schwan, der im Augenblick darnach auf dem Teiche vor dem Schlosse schwamm. Am andern Morgen wurde dem König gleich Alles, was passirt war, geschrieben und der kam in vollem Galopp nach Haus und fand Alles, wie er's erfahren hatte, aber auch die alte Hexe mit ihrer gehörnten Tochter, die Niemand leiden konnte. Der König schickte zu seinem Zauberer, der bei ihm im Dienste stand, dieser mußte heran und Rath schaffen. Als der Zauberer die beiden Weibsbilder gewahr wurde, wußte er gleich Bescheid.

Der König mußte sein goldenes Schwert, das er besaß, hergeben, den Schwan aus dem Teiche holen lassen, und die böse Stiefmutter wurde gezwungen, da sie freiwillig nicht wollte, dem Schwan den Kopf mit dem goldenen Schwerte abzuschlagen. Indem der Kopf vom Rumpf auf die Erde sprang, stand die Königin wie sie leibte und lebte, bei ihrem Manne und erzählte, daß ihre Stiefmutter den Prinzen umgebracht und sie verzaubert hätte. Da der Knabe nicht wieder lebendig gemacht werden konnte, so wurde die Mörderin in ein Faß gesteckt, das über und über mit langen, scharfen Nägeln durchschlagen war und so lange Berg auf und Berg ab gewälzt, bis sie ihren schlechten Geist aufgegeben hatte. Das gehörnte Mädchen war aber in dem Augenblick, wo aus dem Schwan die Königin wieder hervor gieng, zum Schwan geworden und schwamm auf dem Schloßteich herum. In der folgenden Nacht hatten ihn die andern Schwäne, die da ein ordentliches Häuschen bewohnten, auf die schrecklichste Art umgebracht. Der Königin aber gieng's von der Zeit an immer gut.

Nun ist's aus!

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862