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Die Königstochter ein Schmetterling

In einem schönen Schloße hier am Harze wohnte eine Königin mit ihrer Stieftochter. Der König war todt und hatte das Mädchen seiner zweiten Frau auf die Seele gebunden, daß sie sich seiner annähme, und es gut hielte. Wie aber der Vater todt war, da waren auch dem Mädchen seine guten Tage aus und doch war es so gut und so fromm, dabei wie Milch und Blut, ja so schön, wie es noch kein Mädchen auf der Welt gegeben hatte.

Das rührte aber alles die böse Stiefmutter nicht, fie that Tag für Tag dem guten Kinde mehr zu leid, ja es bekam auch sogar Schläge auf seinen Rücken, und auf seine wunderlieblichen Backen, daß ihm die Thränen davon fielen. Das hielt es alles ruhig aus, es widersprach nicht, es widersetzte sich nicht, es blieb sanft und gut, aber sein Herz schwamm ständig in Thränen. Wer das sah, dies Elend, der mochte noch so hart sein, dem wurde das Herz weich.

Ein jeder hätte gerne dem unglücklichen Kinde geholfen, sie konnten aber nicht; denn die Königin hatte das Regiment ganz allein, und wehe dem, wer etwas ihr darüber gesagt oder gethan hätte. So mußte denn das arme Kind sein Leid tragen. Alle Mittag durfte es eine halbe Stunde spazieren gehen auf der Wiese, die bei dem Schloße war, da weinte es sich denn recht dick und satt und oft war es, als wollte ihm sein gutes Herz brechen. Ach, wie manch heißes Gebet that es hier, wie oft sah's nach dem Himmel, wo sein guter Vater war, wie klagte es da dem lieben Gott seine Noth und bat zuleßt, er möchte es doch von der Welt und zu seinem Vater in den Himmel nehmen, damit es von seiner bösen Stiefmutter wegkäme.

So war denn manches Jahr darüber hingegangen, es lebte aber immer noch und trug sein Unglück mit Geduld. Einen Trost hatte es, das war sein gutes Gewissen und eine Hülfe, sein Gebet, die hielten es, daß es nicht ganz verzweifelte, sondern Muth behielt. Nach einem recht schönen Tage, wo es wieder tüchtig von der Stiefmutter ausgezańkt und geschlagen war, gieng es wieder auf die Wiese hinaus, und betete heute recht inbrünstig zu Gott, er möge es doch aus dieser Jammerhöhle zu sich nehmen, er möge sich seiner doch endlich erbarmen. Da hörte es auf einmal eine Stimme, es' war, als käme sie vom Himmel, die sagte: Warte bis diesen Abend.“

Ruhig gieng es zu Haus, that seine Arbeit, heute schneller und viel besser noch, als sonst, und dann gieng es in sein Kämmerlein, betete erst noch einmal recht ordentlich und wollte sich dann auf sein Bett legen und dachte, darnach ständ es nicht wieder auf. Es kam aber anders. Als es mit Beten fertig war, that sich die Thür auf und herein kam ein kleines graues Männlein und sprach: Dein Gebet ist erhört, du sollst errettet werden. Du sollst der schönste Schmetterling werden, du sollst dich an Blumenduft und Honigseim laben und Niemand soll dich verfolgen und fangen dürfen, als deine böse Stiefmutter, die aber soll in eine häßliche Nachteule verwünscht werden und bestimmt fein, dich bei Tag zu verfolgen und von den andern Vögeln gejagt und gepeinigt zu werden.

In dem Augenblick war das liebliche Mädchen der wunderschöne Schmetterling, und das graue Männchen war verschwunden. Der Schmetterling flog durch das Fenster, das noch offen war und suchte sich auf einem Baumblättchen eine Stelle zum schlafen. Eben hatte er sich aber zurecht gesezt, so hörte er einen Ton, der klang wie der einer Nachteule und richtig, die kam daher geflogen, konnte den Schmetterling aber nicht gewahr werden, weil er im Laube saß. Die Eule sezte sich auf einen andern Baum und heulte und winselte die ganze Nacht. Der Schmetterling hörte es und dachte, das ist deine böse Stiefmutter. Hätte sie dich nun besser behandelt, so wäre es so nicht gekommen.

Als es Morgen geworden war und die Sonne schien über Berg und Thal, da flog der Schmetterling auf und in den Blumengarten, von einer Blume zur andern und freute sich seines Lebens; denn die Blumen rochen so schön und sahen so schön aus, und hatten auch alle schönen Honigseim, daß sich der Schmetterling recht satt trinken konnte. Es dauerte aber nicht lange, so kam die böse Nachteule und wollte den Schmetterling fangen. Doch der sah früh genug die Eule und flog weg und war unter den Blumen verschwunden. Als ihn die Eule noch suchte, kamen denn die Schwalben und die Bachstelzen und stachen und jagten die Eule von einem Fleck zum andern, bis sie am Ende in ein tiefes Loch, das in der Mauer war, retirirte. Die Vögel schwirrten noch immer davor herum und ließen sie nicht heraus. Da konnte der Schmetterling wieder hübsch umherfliegen, und so gieng es den ganzen Sommer.

Als es aber anfieng kalt zu werden, da kam gerad einmal ein Prinz auf das Schloß und wollte von hier in den Harz auf die Jagd gehen. Da flog der Schmetterling im Garten umher, und der Prinz war auch gerade im Garten. Mit einmal kam die Eule angeschossen und faßte den Schmetterling und wollte ihn zerreißen. Da stürzte aber gleich der Prinz darauf los, der sich den Schmetterling schon längst gewünscht hatte und packte die Eule und drehte ihr den Hals um. In dem Augenblick aber, daß der Schmetterling von der Eule berührt war, war es wieder das liebliche hübsche Mädchen geworden. Der Prinz verwunderte sich, reichte ihr die Hand, und sie wurde seine Frau. Nachher hat sie ihm ihre Geschichte erzählt und sie haben Lange Jahre mit einander gelebt; da hat's die Prinzessin gut gehabt bis an ihr Ende.

Quelle: „Sagen und Märchen aus dem Oberharz“, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862