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Die erlösten Schwanjungfrauen

  Cottbus

In einer Stadt sahen einmal die Arbeiter, als sie des Abends von der Arbeit heimkehrten, in der Nahe der Brücke drei Schwäne in dem Wasser herumschwimmen. Sie glaubten, es seien die Schwäne; welche ihrem Herrn entflogen waren und achteten ihrer nicht weiter. Am folgenden Tage ging ein junger Mann, welcher Soldat gewesen war, die Brücke entlang. Die Schwäne befanden sich wieder auf dem Fluss, in der Nähe der Brücke. Der junge Mann merkte bald, dass es mit den Schwänen seine eigene Bewandtniss haben müsse, deshalb ging er auf die Schwäne zu. Sobald er sich dem Ufer in der Nähe der Brücke genähert hatte, sah er im Schilfe ein Kästchen stehen. Das nahm er an sich, ging damit nach Hause und öffnete es. Es fand sich darin ein seidenes Kleid und ein Brief. In dem Briefe stand geschrieben: „Wer das Kästchen an sich nimmt; der soll es behalten. Das Weitere wird er in der Nacht sehen.“

Der Mann wartete in der Nacht; was da geschehen werde. Kaum hatte es zwölf geschlagen; so trat ein junges Mädchen; welches ganz weiß gekleidet war, in das Zimmer herein und fragte ihn, ob er sie erlösen wolle. Der Mann bejahte es. Da sagte das junge Mädchen zu ihm: „Ich werde Dich stets begleiten, wohin Du gehst, wenn Du mich auch nicht siehst. Mache Dich aber jetzt auf und gehe an den nächsten See, alles andere wird sich dort finden.“

Der junge Mann machte sich sofort auf und ging an den See. Als er sich dem See näherte; sah er in der Mitte desselben auf einer Insel ein grosses Schloss. Wie er noch so dastand und sich das Schloss ansah; erschien auf dem Wasser eine Ente, welche auf ihn zugeschwommen kam. Die Ente verwandelte den Mann in einen Frosch; erfasste diesen mit dem Schnabel imd schwamm mit ihm nach der Insel zurück. Nachdem sie das Ufer der Insel erreicht hatte, nahm die Ente wieder die Gestalt einer Jungfrau an und gab auch dem jungen Mann seine frühere Gestalt wieder. Darauf sagte sie zu ihm: „Du musst in das Schloss hinein. Dort liegt unten im Keller eine Kanone und diese musst Du abfeuern; dann ist meine Erlösung und die meiner Schwestern vollbracht.“ Darauf wurde der junge Mann in einen Vogel yerwandelt; das Mädchen aber ward unsichtbar.

Er hatte noch nicht lange diese Gestalt bekommen; so trat aus dem Schloss ein junges Mädchen heraus. Das freute sich über den Vogel; haschte denselben und nahm ihn mit in die Stube. Am Abend, als der Vogel sich unbewacht sah; schlüpfte er aus der Stube und flog so lange im Schloss herum; bis er den Eingang zum Keller fand. Dort im Keller sah er auch die Kanone, sie lag aber in einem vergitterten Saum, so dass er nicht zu derselben gelangen konnte. Vor dem vergitterten Raum lag überdies noch ein grosser, schwarzer Hund. Weil er nicht durch das Gitter hindurch fliegen konnte, so erschien plötzlich das Mädchen wieder, welches ihn stets unsichtbar begleitet hatte, und verwandelte ihn in eine Mücke. So konnte er durch das Gitter schlüpfen und gelangte glücklich in den Raum. Dort erhielt er seine ursprüngliche Gestalt wieder. Alsobald schoss er die Kanone los. In demselben Augenblick, als der Schuss erscholl, flog das ganze Schloss in die Luft. Plötzlich standen aber auch drei junge, schöne Mädchen vor ihm. Die erzählten ihm, sie seien in Schwäne verwünscht gewesen, er aber habe sie erlöst. Dasjenige Mädchen aber, welches dem jungen Mann zuerst erschienen war und dessen seidenes Kleid er in dem Kästchen gefunden hatte, wurde seine Frau, und sie haben noch lange und glücklich miteinander gelebt.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880