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Der weise Mann und der Handwerksbursch

Ein frommer und weiser Mann wandert da aus, wo er gewohnt hat; denn die Leute sind ihm alle nicht recht gewesen; der eine hat gelogen, der andere betrogen; der dritte ist falsch; der vierte ein Dieb gewesen und so fort; er hat an jedem was auszusehen gehabt. Kaum ist er aus seiner Vaterstadt heraus, so kommt er bei einen Handwerksburschen und beide reisen miteinander. Am Abend kommen sie müde und marode in ein Dorf und wollen bei einem reichen Bauer bleiben und da schlafen; der Bauer aber spricht, wo sie sich denn denken könnten, daß er jeden Landstreicher, der aus der weiten Welt daher käme, ein Nachtlager geben könnte. Da hätte er viel zu thun.

Sie möchten weiter gehen. Sie gehen auch weiter und sind betrübt über den Geizhals, der sie so angefahren und von seiner Thüre gewiesen hat. Da klopfen sie an eine kleine Hütte an, darin haben recht arme Bauersleute gewohnt. Dem Bauer haben sie kaum ein Wort gesagt, daß sie diese Nacht gern bei ihm bleiben möchten, so zieht er sie gleich herein, setzt ihnen Abendbrot vor; es ist aber nur dicke Milch und Erdäpfel gewesen und macht ihnen ein weiches Strohlager zurecht. Nun gehen alle zur Ruh und schlafen recht sanft die Nacht. Des Morgens steht der Handwerksbursch auf, es ist noch halb dunkel gewesen und sucht im Zimmer umher. Da findet er einen silbernen Becher, welchen er gleich in seine Tasche steckt. Nachher steht der Bauer mit seiner Familie auf, alle thun ihr Dankgebet und bereiten für sich und die Fremden das Morgenbrot. Nachdem das verzehrt ist, gehen die Reisenden weiter.

Der weise Mann macht dem Handwerksburschen Vorwürfe darüber, daß er den Becher mitgenommen habe, da sie doch so gastfreundlich aufgenommen und nach Verhältniß gut bewirthet wären. Der Handwerksbursch sagt aber, er kümmere sich nicht um ihn, er möge auch über das nicht richten, was er nicht verstände. Darauf gehen sie weiter. Da kommen sie zu einem reichen Gutsbesitzer, werden auch da gut aufgenommen und bewirthet. Beim Weggehen zieht der Handwerksbursch den Becher heraus und sagt, er wolle seinem Wirt diesen Becher aus Dankbarkeit und zum Andenken schenken; er möge den Mittag auf der Reisenden Wohl daraus trinken. Dann gehen sie fort. Das ist dem Weisen aber auch nicht recht, er muß aber schweigen.

Hierauf kommen sie wieder des Nachts schon sehr spät in eine kleine Hütte, die ganz abgelegen im Felde gestanden hat und finden darin bei herzensguten alten Bauersleuten Speise und Obdach. Kaum haben sie sich aber hingelegt und sind alle in tiefen Schlaf verfallen, da steht der Handwerksbursch auf, macht leise Feuer und zündet die Hütte an. Das sieht der Weise, erhebt sich gleich von seinem Lager, weckt die alten Bauersleute und rettet mit dem Handwerksburschen nicht allein den alten Bauer mit seiner Frau, sondern auch ihr bischen Armuth, was sie im Hause gehabt haben.

Dann gehen die Reisenden weiter. Als sie nicht mehr von den Bauersleuten gesehen werden können, spricht der Weise zu dem Handwerksburschen: Jetzt bliebe er nicht mehr bei ihm, er möge hingehen, wohin er wolle. Er wäre zu gefährlich. Sein ganzes Thun wäre schlecht. Nein, sagt der Handwerksbursch, und in dem Augenblick steht ein Engel vor dem Weisen, der spricht: Sieh du, Kurzsichtiger, der Becher, den ich den guten Bauersleuten wegnahm, war ein Giftbecher. Wer daraus trinkt, muß sterben. Die guten Alten aber sollten noch leben bleiben, darum nahm ich ihnen den Becher. Der reiche Gutsbesizer, welchem ich das Kleinod schenkte, sog die armen Bauern aus, er mußte von der Welt, wenn es die Bauern wieder gut haben sollten, darum gab ich ihm den Becher.

Gestern Nachmittag lag der Gutsbesitzer auf dem Stroh. Die Hütte, die ich ansteckte, war bestimmt, diese Nacht von der ruchlosen Hand eines Mordbrenners angesteckt zu werden, wobei die armen Bauersleute umkommen sollten. Der Mordbrenner war der Sohn des Abgebrannten. Darum steckte ich die Hütte an, damit sie der nicht anstecken konnte. Jetzt sind die Alten mit sammt ihrem Eigenthum gerettet, und der Plan des Bösewichts zerstört. Sieh, du Mensch, der du ein Weiser sein willst, richte nicht die Thaten Gottes, sondern sprich stets: Was Gott thut, das ist wohlgethan. Darnach war der Engel verschwunden.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862