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Der schnelle Soldat

Ein Handwerksbursch, der in der Fremde ist, bekommt Nachricht, seine Eltern wären gestorben, er solle nach Haus kommen, und sein Erbtheil hinnehmen. Als er zurückkehrt, ist die Theilung schon gemacht, und er bekommt im Ganzen einen Pfennig als Erbtheil. Er ist zwar nicht recht damit zufrieden, daß ihn seine Geschwister so beschuppt haben, zanken und klagen mag er aber nicht, und so nimmt er den Kurzen auf den Langen und geht wieder fort. Es wird ihm nicht schwer.

Kaum ist er aber aus seinem Ort heraus, so hinkt ein armer Greis auf dem Weg daher, der sieht doch aus, wie die theure Zeit. Von Weitem nimmt der alte Mann schon seinen Hut ab und bittet um eine kleine Gabe. Der Handwerksbursch greift in die Tasche, faßt den geerbten Pfennig und reicht denselben dem Bettler mit den Worten hin: „Hier, Alter, ihr sollt mein ganzes Erbtheil haben.“ Der Greis bedankt sich recht herzlich und spricht: „Du hast mir viel gegeben, du sollst viel dafür wieder haben. Von jezt an kannst du dich nach Belieben zu einem Hasen, oder Fisch, oder zu einer Taube machen. Leb wohl und werde glücklich, wir sehen uns noch einmal. Deinen Geschwistern wird der Betrug, den sie dir gespielt haben, nichts nützen.„ Da ist er verschwunden; der Beschenkte kann dem Alten nicht einmal danken.

Als er eine halbe Stunde gegangen ist, hört er stürmen, blickt sich um und erschreckt nicht wenig. Sein Dorf, das er erst eben verlassen hat, brennt an allen vier Seiten, und ehe er wieder zurückkommt, steht der ganze Ort in lichten Flammen. Seine Geschwister sind alle abgebrannt und haben all ihr Hab und Gut eingebüßt. Da er nicht helfen kann, und selbst arm ist, so geht er wieder fort, hört aber noch wenn sie nur den alten Spizbuben erwischen könnten, der das Dorf gleich an vier Ecken angesteckt hätte. Da wird ihm erst klar, was der Alte mit den Worten hat sagen wollen: Es würde seinen Geschwistern nichts nützen; er sieht deutlich, sie sind ärmer als vorher.

In tiefen Gedanken versunken über die Schicksale, die den Menschen treffen und treffen können, zieht er seine Straße und steht, er weiß nicht wie, vor einem breiten Fluß, über dem die Brücke abgebrochen ist. Ei, denkt er, du kannst dich ja zu einem Fisch machen, hat der Alte gesagt, wie wäre es, wenn du einen Versuch machtest. Er tritt mit den Füßen in's Wasser und wünscht sich, ein Fisch zu sein. Gleich ist er ein Fisch, er schwimmt durch den Fluß und kommt an jener Seite an's Land. Da wünscht er sich wieder Mensch zu sein. Gleich steht er wieder mit den Füßen im Wasser und ist ganz der vorige.

Nicht weit von dem Flusse steht ein Wirtshaus, er geht hinein, trocknet sich seine Füße und bleibt da. Des Abends kommt ein Werber zugereist; da er den Handwerksburschen ansichtig wird, frägt er ihn gleich, ob er nicht Lust hätte, Soldat zu werden, an gutem Handgeld solle es nicht fehlen. Der Handwerksbursch ist's zufrieden, sie trinken miteinander eine Flasche Wein, er nimmt sein Handgeld und ist den Abend noch Soldat.

Als er zum Regiment kommt, ist er der größeste und hübscheste, und der König selbst und alle Offiziere freuen sich über den neuen Soldaten. Es dauert nicht lange, da heißt's in's Feld, in den Krieg. Natürlich, unser Soldat muß erst recht mit; denn er ist ein Flügelmann gewesen. So kommen sie dem Feinde näher und mit einem Male heißt's, morgen geht's in die Schlacht. Na, klopft denn Manchem das Herz wie ein Hammer, wenn er so daran denkt, daß er morgen Abend vielleicht nicht mehr lebt, oder zu einem Krüppel gehauen und geschossen ist.

Selbst der König kommt in große Noth, weil er zu seinem großen Schrecken seinen Zauberring mitzunehmen vergessen hat, mit dem er jede Schlacht gewinnt. In seiner Angst wendet er sich an seine Soldaten und spricht: Wer ihm seinen Ring bis zum folgenden Tag herbeischaffen könne, der solle die Tochter des Königs zur Frau haben. Es tritt aber keiner vor; denn von da bis nach der Wohnung des Königs ist zu weit gewesen, dahin und zurück hat keiner in so kurzer Zeit reiten, laufen oder gehen können. Da tritt der neue Flügelmann vor und sagt: Er wolle es thun. Da spricht der König: „Sage meiner Tochter, daß sie dir den Ring giebt. Eile, daß du wiederkommst, sonst sind wir verloren. Kommst du früh genug zurück, so weißt du, was ich versprochen habe.“

Der Soldat fort. Ein anderer aber von den Soldaten, der es auch gern gethan hätte, es aber nicht kann, läuft ihm nach. Mit einem Male verwandelt sich der Flügelmann in einen Hasen, und nun muß der neidische zurückbleiben; dieser hat aber gesehen, was mit dem Flügelmann vorgegangen ist und bleibt an der Stelle, um den erstern da zu überfallen, wenn er zurückkommt. Kurz darauf verwandelt sich der Bote in eine Taube und fliegt zu dem Schlosse des Königs und gleich in das Stubenfenster hinein, wo die Prinzessin gewohnt hat. Das liebe Mädchen freut sich über die hineingekommene Taube und lockt sie zu sich. Auf das freundliche Locken fliegt das Täubchen auf die Hand der Königstochter und spricht:

„Liebe Prinzessin mein,
Rupf mir aus drei Federlein.“

Das thut die Prinzessin und freut sich noch mehr darüber, daß die Taube auch sprechen kann. Kaum hat aber die königliche Jungfrau die drei Federn von der Taube in der Hand, so ist die Taube in einen Fisch verwandelt. Dieser springt auf der Erde hin und her und brummt:

„Liebes Prinzesselein,
Kupf aus mir drei Schüppelein.“

Auch das thut die Prinzessin, da ist der Fisch in einen Hasen verwandelt und spricht:

„Holde Prinzessin fein,
Schneid mir ab mein Schwänzelein.“

Da er so gutmüthig und still sitzen bleibt, so nimmt die Prinzessin die Scheere und schneidet dem Hasen ein kleines Stück von seinem Schwänzchen. Als sie sich in die Höhe richtet, so steht vor ihr ein hübscher junger Soldat, Namens Markus und bringt ihr einen freundlichen Gruß von ihrem Vater, dabei bittet er sie, sie möge so gut sein, und ihm den Zauberring geben, mit dem der König jede Schlacht gewönne, er habe ihn vergessen, sie aber wisse, wo sie ihn wegnehmen könne. Die Prinzessin giebt dem Soldaten den Ring, der verwandelt sich wieder in eine Taube, die den Ring im Schnabel trägt und fliegt wieder zurück in's Lager; da wo sich der Soldat in einen Hasen verwandelt hat, nimmt die Taube die Gestalt des Hasen wieder an.

Kaum ist dieser aber ein paar hundert Schritt gelaufen, so wird er von dem auflauernden Soldaten erschlagen. Dieser nimmt dem Hasen den Ring aus dem Maule und bringt ihn zum König, der sich über alle Maßen freut, daß er sein Kleinod hat. Dabei wiederholt er sein Versprechen und sagt, der Soldat solle dafür sein Schwiegersohn werden.

Jetzt lassen wir den erschlagenen Hasen da liegen, wo er todt gemacht ist und sehen weiter zu, wie die Geschichte kommt.

An dem Tage, an dem der König seinen Ring erhalten hat, kommt's noch zur Schlacht; eine Schlacht, die ganz furchtbar gewesen ist, die Menschen haben umhergelegen, wie hingemäht. Obgleich der König viel von seinen braven Soldaten verloren hat, so ist er aber doch Sieger geblieben, und die Feinde haben flüchten müssen. Darnach ist wieder Friede im Lande geworden, der König ist mit seinen Soldaten nach Haus gezogen und will nun seine Tochter dem Soldaten geben, der ihm den Ring geholt hat. Als er das seiner Tochter sagt, so ist die ganz zufrieden damit, ja, sie freut sich sogar außerordentlich darüber; denn der Markus ist ein sehr hübscher Mann und dabei so freundlich und lieb gewesen, daß sie sich gleich darin verguckt hat. Sie kann deshalb kaum die Zeit abwarten, bis er gerufen wird und ankommt.

Als sie ihn sieht, den falschen Soldaten nämlich, der den Hasen erschlagen hat, da wendet sie sich gleich von ihm, geht zum Vater und spricht: Das wäre der Soldat nicht, der den Ring geholt hätte; der wäre viel hübscher, freundlicher und feiner gewesen, wie dieser grobe Mensch. Damit möge sie ihr Vater verschonen, den nähme sie nimmermehr. Vorerst möge der König bestimmen, daß sie erst ein Jahr noch warten wolle, bis sie sich verheirathete, dann fände sich's weiter. Damit ist der König einverstanden, und der überglückliche Bräutigam muß ohnehin warten, bis es seiner Braut gefällig ist, zu heirathen. Während der Zeit darf aber der falsche Soldat ihr nicht vor die Augen kommen.

Nun wollen wir sehen, was weiter aus dem erschlagenen Hasen geworden ist.

Der todte Hase liegt da auf dem Felde, und kein Mensch bekümmert sich darum; denn ein Jeder ist in der Gegend bei dem Kriegsspektakel um sein bischen Leben selbst bange und kümmert sich wenig um einen erschlagenen Hasen. Da kommt aber an dem Abend, wie die Schlacht geschlagen ist, ein alter Greis zu der Stelle, wo der Hase liegt und spricht zu ihm:

„Ich sage dir, Häselein, steh auf,
Beginne wieder deinen Lauf.“

Da wird der Hase wieder lebendig, verwandelt sich in den Markus, der herzt und drückt vor lauter Dankbarkeit den Greis, und dieser sagt ganz freundlich: „Genug, genug des Danks, jetzt mach dich auf und fliege als Taube nach deiner Braut. Fliege neun Tage vor ihr Fenster, damit du erst gewahr wirst, wie es dort steht, und daß sie dich sieht; dann geh durch das geöffnete Fenster in ihre Stube und mache die Verwandlungen durch. Sie wird alles noch haben, was sie dir ausgerupft und abgeschnitten hat, und daran wird sie dich wiedererkennen, ebenso an deiner jetzigen Gestalt. Nun leb wohl; damit ist der Greis verschwunden.

Markus verwandelt sich sogleich in die Taube und ist bald dort vor dem Fenster der Prinzessin, die er um alles in der Welt gern gesehen hätte, so schön und so gut ist sie gewesen. Neun Tage fliegt er zu ihrem Fenster und dann wieder fort. Dabei hat's ihm in der Seele weh gethan, daß er sich nicht früher zu erkennen geben. soll. Markus ist aber seinem Freunde, dem Greis, gehorsam und weicht kein Haar von der Vorschrift. Am neunten Tage endlich geht er auf vieles Locken der Königstochter, die ihn jeden Tag genöthigt hat, in's Fenster hinein, setzt sich der Prinzessin auf den Arm und spricht:

„Liebe Prinzessin mein,
Setz ein mir meine Federlein.“

Voll Freude holt die holde Jungfrau ein seidenes Beutelchen herbei, nimmt die ausgerupften Federn heraus und setzt sie der Taube ein. Beim Einsetzen der letzten verwandelt sich die Taube schon zu einem Fisch, welcher spricht:

„Liebes Prinzeffelein,
Seß ein mir meine Schüppelein.“

Auch das thut sie. Da wird aus dem Fisch ein Hase, der sagt so recht bittend und traut:

„Holde Prinzessin fein,
Setz wieder an mein Schwänzelein.“

Als auch das die Prinzessin gethan hat, da ist aus dem Hasen der frühere Soldat Markus geworden, der freundlich und gut wieder vor der Königstochter steht und sie bittet, daß er ihr seine Schicksale erzählen dürfe, damit sie erfahre, wie es ihm gegangen und wie er beinahe um's Leben gekommen wäre. Da hört sie ihn recht gnädig an, und als er mit der Erzählung dahin kommt, daß ihm ihre Hand von ihrem lieben Vater versprochen wäre, da reicht sie ihm ihre beiden Hände und spricht: Du wirst mein Mann, ich deine Frau, und so ist's auch gekommen. Der falsche Soldat aber ist aufgehängt.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862