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Der geduldige Jägerbursche

  bei Vetschau R 

Es war einmal ein Jägerbursche, der kam einst an einen See; auf dem See sah er einen grossen Wasservogel schwimmen. Er wollte den Vogel schiessen: schon hatte er angelegt und wollte losdrücken, als plötzlich vom See her eine Stimme rief: „Schiess nicht, sonst kostet es mein Leben.“ Der Jägerbursche stutzte erst; da er aber Niemand sah, so legte er zum zweiten Male an, indess wiederum rief eine Stimme vom See her: „Schiess nicht, sonst kostet es mein Leben.“ Da sprach der Jäger: „Wer bist Du denn?“ Die Stimme aber antwortete: „Ich bin die Schwanprinzessin.“ Als er noch so dastand und nachsann, was das Alles zu bedeuten habe, kam der grosse Wasservogel an das Ufer geschwommen. Der Jägerbursche sah nun, dass es ein schneeweißer Schwan war. Der sprach zu ihm: „Willst Du mich erlösen, so gehe alle Sonntage in die Kirche und bete darin für mich ein Vaterunser. Das musst Du aber ein ganzes Jahr hindurch jeden Sonntag thun. Ist das Jahr vorüber, so komm wieder an den See.„ Der Jäger versprach, er wolle das thun und ging darauf seiner Wege.

Er ging fortan jeden Sonntag in die Kirche und betete dort ein Vaterunser. Fast war das Jahr um, da liess der König ein grosses Scheibenschiessen an einem der nächsten Sonntage abhalten. Er hatte aber im ganzen Lande bekannt machen lassen, dass derjenige, welcher sich als der beste Schütze erweisen würde, sein schönes Töchterlein heirathen solle. Der junge Jägerbursche vernahm auch von diesem Scheibenschiessen. Da er ein trefflicher Schütze war, so stellte er sich zu demselben ein und richtig, als der Abend kam, hatte er alle Schützen durch seine Sicherheit im Treffen besiegt; er ward als Sieger ausgerufen. An dem Tage war er aber nicht in die Kirche gegangen. Der König nahm ihn darauf mit in sein Schloss, um ihm die Prinzessin zu zeigen. Als er die Königstochter gesehen hatte, sagte er zu dem Könige: „Du kannst Deine Tochter behalten, meine Braut ist viel schöner.“ Darauf ging er seiner Wege.

Nun war aber das Jahr um und der Jägerbursche begab sich an dem bestimmten Tage an den See. Allein so viel und so lange er auch an dem Ufer auf und ab ging, er sah keinen Schwan. Endlich liess sich eine Stimme vernehmen, die sprach: „Warum bist Du nicht jeden Sonntag in der Kirche gewesen? Warum hast Du meine Schönheit verrathen? Jetzt haben sie mich nach dem Glasberg gebracht.“

Traurig ging der Jägerbursche fort, um den Glasberg zu suchen, denn er hatte sich gelobt, es möge kommen, was da wolle, er werde die Prinzessin erlösen. Er zog durch viele Länder und Städte, nirgends aber hörte er etwas von dem Glasberg. Endlich kam er an eine Mühle, welche in einem grossen finstem Walde lag. Die Mühle sah sehr seltsam aus, es herrschte eine tiefe Stille darin und der Jäger wagte nur furchtsam hinein zu gehen. In der Mühle traf er den Müller. Den bat er, dass er ihm doch etwas zu essen geben mochte, denn er sei sehr hungrig und schon lange Zeit unterwegs. Der Müller aber sprach zu ihm: „Wie kommst Du denn hierher? Seit siebenhundert Jahren ist kein Mensch hier gewesen. Du bist der erste, welcher seit dieser Zeit meine Schwelle überschritten hat.“ Da erzählte der Jäger dem Müller Alles und sprach: „Niemand als Du kann mir helfen.“ Der Müller sagte: „Iss nur und trinke, so viel Du magst; stärke Dich nur erst. Was in meinen Kräften steht, will ich thun und Dir helfen“

Den andern Tag ging der Müller in seine Kammer und holte daraus einen goldenen Rehbock hervor. Dann sagte er zu dem Jäger: „Setz' Dich darauf, Du wirst bald an dem Glasberge sein“ Der Jäger nahm von dem Müller Abschied und setzte sich auf den Rehbock. Hei, wie ging das durch die Luft dahin, dass Alles nur so sauste und brauste! Endlich schimmerte in der Ferne der Glasberg auf; alsobald setzte der Rehbock den Jäger vor einem Quell nieder. Der Jäger war sehr durstig geworden, er bückte sich nieder und wollte aus dem Quell trinken, da rief eine Stimme: „Trinke nicht!“ Der Jäger aber achtete der Warnung nicht, sondern trank. Kaum hatte er das gethan, so rief eine Stimme: „Ach, hättest Du doch nicht getrunken, jetzt muss ich nach der finstem Welt“ Erschreckt sprang der Jäger auf, allein so viel er auch sich umblickte, der Glasberg war verschwunden.

Nun machte sich der Jäger wieder auf den Weg, um die finstere Welt zu suchen. Nach langer Wanderung kam er wieder an eine Mühle. Er betrat dieselbe. Als der Müller ihn sah, sprach er: „Bist Du ein Mensch oder ein Geist?“ „Nein“ sagte der Jäger, „ich bin kein Geist, ich bin ein Mensch, ich mochte den Weg zur finstem Welt wissen.“ Darauf erzählte der Jäger dem Müller Alles, was ihm begegnet war, dann fragte er ihn abermals, ob er den Weg zur finsteren Welt wisse. Nach einem Weilchen sprach der Müller: „Die finstere Welt weiß ich wohl, aber dort wirst Du nie hinkommen.“ Der Jäger erwiderte: „Hin kommen muss ich auf jeden Fall, und wenn Jemand es möglich machen kann, so bist Du es.“ Da sprach der Müller: „Ich mahle für die finstere Welt. Von Zeit zu Zeit kommt der Vogel Greif und holt das Mehl in einer Tonne. Dort musst Du hinein kriechen, dann wird der Vogel Greif die Tonne auf den Rücken nehmen und Dich so in die finstere Welt tragen.“ Der Jäger war damit einverstanden. Er musste aber einige Zeit warten, bis der Vogel Greif kam. Als er der Mühle nahte, bohrte der Müller an einem Ende des Fasses kleine Löcher in den Boden desselben, damit der Jäger Luft habe, dann kroch dieser in das Fass hinein, der Müller aber schüttete Mehl über ihn; dann machte er das Fass zu. Darauf nahm der Vogel Greif seine Last auf den Rücken und flog durch alle Lüfte bis zur finstern Welt, hier schütteten die Leute das Mehl auf ein grosses Tuch aus, da kam auch der Jäger zum Vorschein. Die Leute in der finstern Welt wunderten sich sehr, einen Menschen zu sehen. Als sie ihn noch umstanden, kam auch die Schwanprinzessin herbei und freute sich sehr, als sie den Jäger erblickte. Sie sprach zu ihm: „Komm mit mir; vorläufig aber muss ich Dich noch verstecken, damit die bösen Geister Dich nicht sehen und Dich tödten: sonst kannst Du mich nicht erlösen.“ Der Jäger folgte der Schwanprinzessin und diese versteckte um in ihrem Schlafgemache unter ihrem Bett. Darauf sprach sie zu ihn: „Die Geister werden drei Nächte hinter einander kommen und Dich quälen und plagen. Gieb aber keinen Laut von Dir, so viel Du auch zu leiden hast, sondern sei ganz still, so werde ich in der dritten Nacht erlöst sein.“

Wie sie gesagt hatte, so geschah es. Als es Nacht wurde, kamen die Geister, holten den Jäger unter dem Bett hervor und quälten ihn auf alle Weise. Der aber gab trotz aller Schmerzen keinen Laut von sich. Am Morgen verliessen sie ihn. Auch in der folgenden Nacht geschahh das-selbe. In der dritten Nacht trieben die Geister ihre Quälerei ärger als je, der Jäger aber gab wiederum keinen Laut von sich. Endlich schlug die Uhr eins. In demselben Augenblick gab es einen so furchtbaren Knall, dass man glauben mochte, die Erde berste. Zu gleicher Zeit aber war auch Alles verwandelt. Der Jäger befand sich in einem schönen Schlosse und die Prinzessin sass zu seinen Füssen. Der junge Jäger hatte sie erlöst, er heirathete die Schwanprinzessin und ward König eines grossen Reiches. Fortan lebten beide glücklich und zufrieden mit einander bis an ihr Ende.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880