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Der Doctor

Es ist einmal ein Doctor gewesen, der hat mehr gekonnt als Brotessen; der ist heillos gelehrt und klug gewesen. In seinen langen, langen Dienstjahren ist ihm Vieles und Manches vorgekommen und hat er Manches in seinen Büchern gefunden, auf welches hunderte von Doctoren nicht kommen. Er hat aber auch, wenn er zu Haus gewesen ist, fleißig studirt und dadurch hat er oft Unmögliches möglich gemacht.

Auf diese Art ist er nach vielem Forschen dem Dinge auf den Grund gekommen, daß es möglich ist, wenn man einen lebendigen Menschen tödtet und in Wurststückchen zerhackt, diesen Brei in ein großes, großes Glas thut und tagtäglich mit einigen Tropfen von einer Flüssigkeit bespritzt, die er dazu expreß gemacht hat, der zerhackte Kram wieder zusammenwächst, der vorige, aber weit gesundere Mensch und auch hübsch und lebendig wird. Eine Probe damit zu machen, frägt er seinen alten Diener, ob er sich wohl dazu hergeben wolle; er solle auch dreitausend Thaler haben und dann nicht mehr als Diener, sondern als großer Herr leben. Dem Diener kommt die Geschichte aber doch zu wackelig vor und er antwortet, er wolle nur Diener bleiben. Dies wäre gewiß, das andere ungewiß; er hätte nur ein Leben zu verlieren.

Darnach sucht der Doctor Andere dazu zu friegen; was er den Leuten aber auch verspricht, Keiner ist dazu zu bewegen. Weil sich nun Keiner zu dieser Probe hergeben will, so will er's durch seinen Diener an sich selbst probiren lassen. Dieser will aber auch nicht daran; endlich, nachdem er ihm sein ganzes Vermögen versprochen und gerichtlich zugesichert und eben so fest gemacht, daß, wenn es nicht gelänge, ihm nichts gethan werden solle, so läßt sich der Diener dazu bewegen.

Der Doctor sagt ihm, er solle ihn förmlich schlachten, wie ein Schwein, sein Fleisch abschälen und klein hacken, seine Knochen zerstampfen und dazwischen werfen und die ganze Kalteschale in das große Glas thun, was da im Eckschranke stände, ja aber alle Tage von den Tropfen etliche darauf träufeln und bei Leib und Leben darnach sehen, daß Niemand an den Schrank käme und ihn anrühre. Geschähe dies, so sänke die Masse zusammen und alles wäre vergeblich; folge der Diener aber seiner Vorschrift genau, so würde er in dem großen Glase nach und nach seine vorige Gestalt annehmen, größer werden, dann auch erst ein schwaches, darauf kräftigeres Leben bekommen und so nach einem Jahre als ein ferngesunder, neuer, aber derselbe Mensch aus dem Glase wieder glücklich heraussteigen.

Der Diener verspricht, ja er beschwört auf's heiligste, alles genau so machen zu wollen, wie es befohlen wäre. Hierauf gehen die beiden mit einander zu Rathhaus, und die Geschichte wird vor Gericht in Ordnung gebracht. Man will den Doctor erst von seinem Vorhaben abbringen, er läßt sich aber nicht irre machen. Er verschreibt seinem Diener seine ganzen Habseligkeiten, und das ist nicht wenig gewesen und dann gehen sie wieder nach Haus. Nun macht der Doctor noch alles zurecht, übergiebt dem Diener die Schriften, sein Geld und was er sonst hat, und der Bediente muß ihn dafür schlachten, und so lohnen, wie es der Herr befohlen hat.

Alles geschieht auf's genaueste, denn der Diener ist ein treuer Diener gewesen, der es brav mit seinem Herrn gemeint hat. Als er nun die ganze Masse von dem Leibe seines Herrn in das große Glas in dem Eckschranke gethan, und das erstemal mit den Tropfen begossen hat, so schließt er nicht allein den Schrank und die Stube, sondern auch alle Fenster und Thüren des Hauses fest zu und setzt sich hintenaus in ein kleines Zimmer und besorgt da seinen kleinen Haushalt.

Nach vier Wochen sieht er schon, wie sich die Masse in dem Glase verwandelt und zu gestalten sucht. Nach acht Wochen sieht er schon den Kopf daraus heraufkommen. Nach einem Vierteljahre wird der Kram einem Menschen ähnlich und nach einem halben Jahre sieht er schon einen vollkommenen Menschen im Glase stehen, der aber kein Leben hat. Die Freude des Bedienten ist unbeschreiblich, er kann gar nicht mehr in seinem Wohnzimmer bleiben, er muß immer vor dem Schranke stehen und seinen lieben Herrn anstaunen und sehen, wie er immer vollkommener, ja ihm ähnlicher wird. Nach dreiviertel Jahren fängt der Mensch auch schon an bisweilen zu zucken, die Augenlider und Augen bewegen sich auch ab und an, und der Diener hat nun die Gewißheit, daß er seinen alten Herrn nach einem Vierteljahre gesund und wohl wieder bekommt.

Da wird auf einmal Krieg im Lande. Der Feind kommt auch noch hierher und belagert die Stadt. Da sie sich aber nicht ergeben will, so wird sie erstürmt und geplündert. Die Feinde dringen auch in das Haus des Doctors, zerschlagen alles und kommen auch an den Schrank, in welchem der Doktor steht, schlagen ihn auf und so stürzt die ganze Geschichte zusammen. Auch dem armen Diener wird alles genommen, was die Soldaten finden, und so ist dieser seinen Herrn und dessen ganzen Reichthum los. Als alles wieder ruhig ist, da hat dieser diese Geschichte oft erzählt und so ist sie von Mund zu Mund gegangen, bis sie hier aufgeschrieben und nun zu lesen ist.

Quelle: „Sagen und Märchen aus dem Oberharz“, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862