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Der blutige Mann und sein Sohn

Ein Graf hier am Harze hat die Gewohnheit, sich alle Tage zu baden, es mag Winter oder Sommer sein und noch dazu in einem offenen Teiche, der beim Schlosse gewesen ist. Einmal kommt er an den Teich, es ist des Morgens früh im Frühling, da steht eine Schachtel an der Stelle, wo er badet. Er macht die Schachtel auf und ein kleiner Junge liegt darin und schläft. Voller Verwunderung und Freude nimmt er beides und trägt's seiner Frau hin, die gerade ein kleines Töchterchen an der Brust hat. Die Frau nimmt den aufgefischten Knaben aus der Schachtel und findet bei der Gelegenheit noch einen Brief, in welchem steht, daß der Knabe Georg heiße und fünf Wochen alt wäre. Aber weiter nichts.

Der Graf mit seiner Frau sind gute Leute und nehmen sich vor, die beiden Kinder, ihr Töchterchen mit diesem Georg nämlich, groß zu ziehen. Das geschieht auch, beide gedeihen gut, spielen miteinander, haben sich lieb, lernen auch fleißig, und die Alten freuen sich recht über das Paar; denn keins hat ohne das andere auch nur eine Stunde sein können, so gut sind sie sich. Sie werden größer und größer.

Georg wird ein ansehnlicher ritterlicher junger Mann, die Tochter, Brunhilde, ein schmuckes Mädchen. Mit dem Größerwerden wächst ihre Liebe zu einander; und der Graf mit seiner Frau setzen den Georg, da sie auf's Gewisseste voraussehen, daß ihre Brunhilde und Georg jedenfalls einmal ein Paar werden, zum Erben ein; denn die Güter des Grafen hat nur ein Sohn oder Schwiegersohn erben können, keine Tochter, das ist Gesetz gewesen.

Bis dahin hat sich der Bruder von dem Grafen große Rechnung auf dessen Güter gemacht; als der aber wittert, daß der Pflegesohn oder der demnächstige Schwiegersohn des Grafen Schuld ist, daß die Erbschaft an den fällt, so sucht er dem Georg allerlei Schalhölzer oder Fallbrücken zu legen, so daß der arme Mensch seines Lebens nicht froh wird. Erst verläumdet er ihn bei den Pflegeältern, die aber riechen, was der Onkel im Schilde führt, und der Verläumder muß mit langer Nase abziehen, da kriegt er seinen Willen nicht.

Ärgerlich darüber giebt er ein paar Bösewichtern Geld, daß sie den Georg gelegentlich trocken abklopfen müssen. Wäre dieser nicht Mannes genug gewesen, so hätten sie ihn kalt gemacht. Er wehrt sich aber tüchtig und kommt diesmal mit vielen Wunden und Schmerzen davon. Da er nun merkt, was die Glocke geschlagen hat, so sagt er zu seinen Pflegeältern und zu seiner Brunhilde, er wolle erst einmal eine Zeit lang fort und die Welt besuchen, unterdeß rauche der Ärger und Groll seines Feindes ab. Jedenfalls käme er bald wieder. Die finden den Vorsatz auch gut und er reist ab.

Des Grafen Bruder hat aber immer aufpassen lassen und so erfährt er gleich, daß Georg abgereist ist; in aller Eile schickt er sechs Lanzenknechte dahinter her, die sollen den armen Menschen_umbringen. Am zweiten Tage holen sie ihn ein und kommen in das Wirtshaus, wo er eben eingekehrt ist. Er läßt aber alles im Stich und entwischt den Verfolgern. Glücklich kommt er hinten aus dem Fenster und macht, daß er den Wald erreicht. Bei einem Köhler findet er noch Nachtlager und überhaupt Herberge. Dem Köhler hilft er bei seiner Arbeit und beide vertragen sich recht gut. Georg ist froh, daß er eine Gesellschaft und einen treuen Helfer hat. So geht erst einmal lange Zeit darüber hin. Endlich sagt der Köhler: Ja, dort das Schloß, welches da auf dem Berge stände, wäre jest ganz leer, kein Mensch könnte drin bleiben. Jeder, der es wage, und eine Nacht darin zubrächte, würde am andern Tag todt herausgetragen. Es wäre nicht sicher darin.

Das ist Wasser auf die Mühle Georgs. So was hat er sich schon lange gewünscht und er spricht zum alten Köhler, er wolle es doch auch einmal dort versuchen, ob's ihm auch an den Kragen kommen könne. Der Köhler wird traurig deshalb und räth ihm ab, er aber läßt sich nicht abspeisen und macht am folgenden Tag hin, besieht bei Tag die Gelegenheit und versieht sich mit Lebensmitteln, aber auch mit Licht und Schlagdingern. Furcht hat er nicht gekannt. Er nimmt Abschied vom Köhler und macht sich am Abend hin.

Bei Tag hat er sich eine Stube ausgesucht, unten im Schloß, in die nur eine Thür führt. Die Fenster hat er verwahrt und die Thür verriegelt. So geschützt, macht er sich auf Alles gefaßt, steckt zwei Lichte an, setzt den Tisch und ein paar Stühle parat, holt sein Gebetbuch aus der Tasche und legt das mit seinen Waffen auf den Tisch. Dabei ist er auf jeden Ton aufmerksam, der sich hören läßt. So rückt langsam die elf heran.

Kaum ist der lezte Schlag aus der Glocke, so geht die verriegelte Thür auf und herein tritt ein Mann, dem allenthalben das Blut aus dem Körper quillt, dabei sieht er so traurig und betrübt aus, daß es dem Georg ordentlich anfängt zu dauern. Wie der blutende Mann da so an der Thür steht, sezt Georg ihm den Stuhl hin und zeigt, er möge sich darauf seßen und ausruhen, sagt aber kein Wort; denn er weiß, mit solchen Geschöpfen darf man nicht sprechen, und das ist gerade gut gewesen. Der Unglückliche sitzt eine Glockenstunde da, wie es aber zwölf schlägt, geht er ruhig zur Thür hinaus, und das Blut ist gleich weg, was bis dahin auf der Erde gestanden hat und fortgeflossen ist. Darnach ist alles still die ganze Nacht.

So geht's alle drei Nächte hindurch, nur in der letzten aber geht der blutige Mann nach Zwölfschlagen nicht weg, sondern richtet sich auf, das fließende Blut hört auf, aus den Wunden zu kommen und er spricht: „Dank dir, mein Sohn, daß du muthig bei mir ausgehalten hast und nicht redetest! Jetzt wisse, daß ich dein Vater bin, der meuchlings von den Räubern umgebracht ist, die auch dir das Leben nehmen wollten. Ich hatte keine Ruhe eher, bis du im Besiz deiner Güter warest und bin deshalb hier im Schlosse walten gegangen, und jeder hat sein Leben Lassen müssen, der es wagte mich daran zu hindern. Jezt mußt du aber dein Befreiungswerk erst recht vollbringen. Locke deine und meine Mörder hierher, laß bekannt machen, daß du hier bist, und sie werden gleich da sein. Sag unten im Dorf, du wärest unten hier im Keller versteckt, und wenn sie dann dahinein dringen, dann soll mir keiner davon kommen.“

Georg thut das auch, und die sechs Raubritter gehen in die Falle. Als sie alle erschlagen da liegen, sagt der Vater zum Sohne: „Nun, mein Sohn, bin ich ganz beruhigt. Geh von hier hinauf in das Zimmer, wo ich gewohnt habe, und auf welchem mein Schrank noch in der Wand steht. Öffne denselben, darin wirst du Papiere finden, die da beweisen, daß du mein Sohn, und der rechtmäßige Erbe meiner großen Güter bist. Geld liegt in Menge dabei. Mache dich auf und geh' zum Kaiser, daß er dich in deine Rechte einsegt. Von ihm wirst du zum Graf eingesetzt werden, das ist so gut, wie ein kleiner König.“ Darauf ist aber sein Vater verschwunden. Der Sohn sucht nach und findet Alles, wie sein Vater gesagt hat, und wird vom Kaiser auch als Harzgaugraf eingesetzt.

Als Georg in seine Würden eingesezt ist und in Ehr und Ansehen steht, war sein erster Weg zu dem alten Köhler, dem er früher geholfen hat. Dieser verwunderte sich nicht wenig, als er den vornehmen Herrn Georg auf seine Köthe zukommen und bei ihm einkehren sah. Noch mehr aber wunderte er sich, als er hörte, daß der Herr Graf früher sein Gehülfe gewesen war. Als ihn nun Georg aufforderte, mit nach seinem Pflegevater zu gehen, so war er gleich bereit dazu.

Sie kommen mit einander an den Ort in's Wirtshaus und hören, daß des Grafen Tochter gestorben wäre und heute beerdigt würde. Die Tochter ist nämlich Georgs frühere Spielkameradin und nachherige Braut gewesen. Man kann sich leicht denken, als Georg das hört, wie er darüber erschreckt. Kaum hat er sich ein wenig von dem Schreck erholt, so kommt der Leichenzug schon an, und der ganze Ort folgt dem Sarge; denn alle haben das gute Mädchen lieb gehabt. Georg folgt natürlich auch mit und weint heiße Thränen am Grabe seiner Braut. Dann kehrt er wieder um, ohne seine Pflegeeltern zu besuchen; was soll er da auch noch thun, da seine Braut todt ist.

Auf dem Rückwege sieht er mit dem Köhler weit vor sich eine Kutsche dahin fahren, wohin die beiden auch wollen; und gleich darauf springen zwei Räuber auf die Kutsche los und halten den Wagen an. Es entsteht Schlägerei, während dessen kommt Georg und der Köhler dazu und nachdem ein Räuber gefallen ist, macht sich der andere eilig fort. Jetzt sieht Georg zu, wer in der Kutsche gesessen und sich bis dahin, daß Georg und der Köhler gekommen, so tapfer gewehrt hat. Ein Soldat, aber mit einem hübschen Mädchengesicht, kommt ihnen aus dem Wagen entgegen und o Freude; es ist Brunhilde gewesen, die heimlich ihren Eltern entflohen ist, um Georg aufzusuchen. Ihre Eltern haben sie gutwillig nicht weggehen lassen wollen, da ist sie scheinbar auch krank geworden, wie ihre Kammerjungfer krank gewesen ist, und als diese wirklich stirbt, da heißt's, Brunhilde wäre gestorben und wird begraben. Als der Sarg mit der Kammerjungfer beerdigt wird, da macht sie sich in Soldatenkleidern heimlich fort. Auf die Art kommen die beiden wieder zusammen.

Voll Freude wenden sie wieder um und kommen dann bei Brunhildens Eltern an. Man kann sich leicht denken, welcher Jubel da entsteht und wie alles im Ort laut wird, als man hört, Brunhilde lebt noch und Georg ist auch wieder da, beide wollten Hochzeit machen. Das war aber eine Hochzeit, wie sie da noch nie gefeiert wurde.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862