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Der muthige Ritter

  Sandow

Ein junger Ritter hatte sich einen grossen Hund aufgezogen, welcher ihn überallhin in den Kampf begleitete. Der Hund war muthig und wurde bald in jedem Angriff so geschickt, dass dem Ritter und seinem Hunde Niemand zu widerstehen vermochte. So kam es, dass man sich endlich weit und breit von der Tapferkeit des Ritters erzählte. Eines Tages gesellte sich ein Mann, welcher einen rothbraunen Mantel um hatte, zu ihm. Dieser fragte ihn, ob er Lust habe, die zwölf schlafenden Jungfrauen zu erlösen. Dazu war der Ritter bereit. Darauf sagte ihm der Mann: „Ich werde ein Glocklein machen und das läuten: dem Schalle desselben musst Du nachgehen, bis Du an das Schloss kommst, in welchem die Jungfrauen schlafen. Die Jungfrauen musst Du dann küssen. Lass Dich aber durch nichts abziehen, dem Schall des Glockleins zu folgen.“ Der Ritter zog sogleich mit seinem Hunde aus, die Jungfrauen zu erlösen: immer, wenn er den Weg nicht wusste, hörte er in der Feme den Schall eines Glöckleins.

Einst kam er an eine Stadt. Da er darin lautes Geschrei hörte, so zog er in dieselbe ein. Hier sah er, dass Räuber die Stadt plünderten. Sofort begann er mit seinem Hunde den Kampf gegen dieselben, erschlug viele von ihnen, die übrigen aber vertrieb er. Zum Dank für die Errettung wurde ihm von den Bürgern der Stadt eine Burg geschenkt. Er sollte auch in der Stadt bleiben und darin herrschen, allein er lehnte dieses Anerbieten ab und zog weiter.

Darauf kam er in einen Wald. Plötzlich hörte er ein furchtbares Geschrei. Sogleich ritt er dem Geschrei nach. Bald kam er an ein Schloss, welches in hellen Flammen stand; vor dem brennenden Schloss aber stand der Schlossherr und jammerte, dass seine einzige Tochter in den Flammen umkommen müsse, denn Niemand sei da, sie zu retten. Der junge Ritter liess sogleich zwei Laken in Wasser tauchen, hüllte sich in das eine, drang in das brennende Schloss ein, hüllte die Jungfrau in das zweite und rettete sie durch Bauch und Flammen. Als der Schlossherr seine Tochter gerettet sah, wollte er dem jungen Ritter seine Tochter zur Frau geben. Der aber sagte, er müsse die zwölf schlafenden Jungfrauen erlösen. Deshalb nahm er nur eine Burg als Geschenk an, dann zog er weiter.

Nachdem er wieder viele Meilen weit dem Schall des Glöckleins nachgeritten war, stiess er in einem Wald auf zwei Raubritter, die eine Dame, welche sie geraubt hatten, entführen wollten. Der junge Ritter forderte sie auf, die Dame freiwillig herauszugeben, da sie aber hierzu nicht bereit waren, kam es zu einem Kampfe, in welchem ihn die zwei Raubritter besiegten. Als man dem Ritter den Helm vom Haupte genommen hatte, sahen die drei Kämpfer, dass sie eigentlich alte Freunde seien. Darüber war eine solche Freude, dass die beiden Sieger den jungen Ritter entliessen und ihm sogar noch die geraubte Dame gaben. Darauf geleitete der Ritter die junge Dame in ihre Heimath.

Als er mit der Dame zur Burg ihres Vaters kam, hielten die Wächter, zwei grüne Ritter, ihn für einen der Raubritter. Sie drangen auf ihn ein, aber die Dame hinderte den Kampf und erzählte, wie sich Alles zugetragen habe. Darauf nahm man den Ritter mit Freuden im Schlosse auf. Er erhielt, da er die Jungfrau nicht heirathen wollte, eine Burg zum Geschenk. Nach einigen Tagen zog der junge Ritter weiter, immer dem Schall des Glöckleins nach. In einem Walde gesellte sich der Mann im rothbraunen Mantel wieder zu ihm und sagte: „Nun bist Du dem Schlosse, in welchem die zwölf schlafenden Jungfrauen sich befinden, nahe gekommen. Jetzt werden neue Anfechtungen beginnen. Du darfst Dich aber durch dieselben von Deinem Vorhaben nicht abbringen lassen.“ Darauf verschwand der Mann, der Ritter aber kam in eine schone Stadt. Dort kehrte er in dem besten Gasthof ein. In demselben war eine junge, schone Dame, welche ihn bat, er möge bleiben. Als der Ritter sie aber genauer ansah, bemerkte er, dass sie ein Krötengesicht habe. Deshalb verliess er den Gasthof und die Stadt. Nach einiger Zeit kam er wieder in einen Wald. Bald umgab ihn in demselben dichte Finstemiss, es war ihm, als drängen Räuber auf ihn ein, er glaubte Gespenster und wilde Thiere, welche ihn bedrohten, zu erblicken, allein furchtlos ritt er weiter, immer dem Schall des Glöckleins nach.

Endlich gelangte er an ein Schloss. Sobald er dasselbe betreten hatte, strahlte Alles in hellem Lichte. In einem Saale sah er die zwölf schlafenden Jungfrauen. Schon wollte er sich ihnen nähern, da trat ihm ein Mann in den Weg und sagte: „Ich bin der Wächter; die Jungfrauen darf nur Jemand küssen, der rein von Fehl und Sünde ist, Du aber hast in Deiner Jugend Deine Mutter bestohlen“ Der junge Ritter sagte: „Ich habe keine Sünde begangen, als dass ich in meinem neunten Jahre meiner Mutter einmal heimlich ein Ei genommen habe: als ich das that, habe ich noch keinen rechten Verstand gehabt.“ Darauf trat der Wächter zurück, der junge Ritter ging auf die Jungfrauen zu und küsste sie.

Kaum hatte er die letzte Jungfrau geküsst, so geschah ein lauter Krach, die Jungfrauen erwachten aus ihrem Schlafe, der rothbraune Mann stand vor ihm und sagte: „Habe Dank, Du hast Alle erlöst“ Darauf blieb der junge Ritter im Schlosse und heirathete die letzte und schönste der Jungfrauen. Da er schon früher drei Burgen erworben hatte, so lebte er mit seiner Gemahlin in Glück und Reichthum, die elf andern erlösten Jungfrauen aber gingen in ein Kloster.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880