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Der Zauberlehrling I

  Branitz

Ein Bauer hatte einen Sohn, der war sehr klug. Seine Freunde riethen ihm, er solle seinen Sohn etwas Ordentliches lernen lassen. Als derselbe herangewachsen war, beschloss der Vater, ihn zu einem Zauberer in der Stadt in die Lehre zu geben. Er machte mit dem Zauberer eine dreijährige Lehrzeit ab. Der Zauberer war bereit, den Lehrling anzunehmen und nach drei Jahren zu entlassen, wenn der Bauer seinen Sohn nach dieser Zeit wiedererkennen würde, es sei in welcher Gestalt er ihm denselben bringen werde. Der Bauer ging darauf ein. Beim Abschied flüsterte der Sohn dem Vater zu; er werde, wenn der Zauberer ihn wiederbringe, sich hinter die Ohren kratzen: daran könne er ihn erkennen.

Die drei Jahre vergingen. Der junge Bauer benutzte die Lehrzeit so gut, dass er klüger wurde als sein Lehrmeister.

Nach Verlauf dieser Zeit brachte der Zauberer eines Tages dem Bauer drei Tauben in einem Käfig. Der Schwarzkünstler forderte ihn auf, unter diesen Tauben seinen Sohn zu suchen. Ohne dass es der Schwarzkünstler merkte, kratzte sich eine von den Tauben am Kopfe. Der Bauer wusste nun, welches sein Sohn sei. Er wählte also die richtige Taube und erhielt seinen Sohn.

Eines Tages klagte der Vater seinem Sohne, er habe kein Geld. Der Sohn sagte, das wolle er ihm bald verschaffen; er werde sich in ein Pferd verwandeln, das möge er getrost auf dem Markte verkaufen, aber den Zaum solle er ja abstreifen, sonst bleibe er in der Gewalt dessen, der das Pferd gekauft habe. Der Vater zog darauf mit dem Pferde zum Markte. Bald trat ein Herr an ihn heran und kaufte das Pferd. Der Bauer wollte den Zaum abstreifen. Da das der Herr sah, bot er für den Zaum noch einmal so viel Geld, als er für das Pferd gegeben hatte.

Obschon der Bauer sich an das Verbot seines Sohnes erinnerte, dachte er doch: „Geld ist Geld; ist Dein Sohn so klug, so mag er sehen, wie er durchkommt.“ Also verkaufte er den Zaum. Jetzt war der Herr, welcher Niemand anders als der Schwarzkünstler war, froh und wollte eben dem Pferde den Zaum anlegen, als dieses sich plötzlich in eine Taube verwandelte. Der Schwarzkünstler folgte ihr sofort in Gestalt eines Raben. Nachdem die Vögel eine Weile in der Luft herumgekreist waren, erspähte die Taube ein offenes Fenster; sie flog sofort hinein. In der Stube befand sich ein Mädchen. Die Taube verwandelte sich in einen Ring und legte sich dem Mädchen um den Finger. Sogleich stand vor dem Mädchen ein Mann und bat um den Ring. Bevor aber das Mädchen noch den Ring abgestreift hatte, fiel er als Gerstenkorn unter den Tisch.

Augenblicklich verwandelte sich der Mann in eine Henne und wollte das Gerstenkorn aufpicken, allein das Mädchen merkte, dass hier nicht Alles richtig sei, ergriff die Henne und schnitt ihr den Kopf ab. Da war es mit dem Zauberer auf einmal aus. Darauf verwandelte sich das Gerstenkorn wieder in den jungen Bauer. Dieser sah das Mädchen an und fand, dass es dasselbe Mädchen sei, welches er schon gern gehabt hatte, bevor er zu dem Zauberer in die Lehre gekommen war. Da er von ihm nun auch noch aus der Gewalt des Schwarzkünstlers gerettet worden war, so beschloss er, es zu heirathen. Das geschah und die jungen Leute lebten fortan glücklich und zufrieden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880