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Die verzauberte Prinzessin

  bei Vetschau R

Es war einmal eine Köchin, die diente bei einem Kaufmann. Eines Tages ging sie in den Garten, um Petersilie zu pflücken, als auf einmal ihre Hand eine Kröte erfasste. Der kleine Sohn des Kaufmanns stand daneben und wollte die Kröte todtschlagen, aber die Köchin nahm sie in ihre Schürze und setzte sie sacht an den Gartenzaun nieder. Den Tag darauf fuhr ein feiner Wagen bei dem Kaufmann vor, ein junger Mann stieg aus und fragte nach der Köchin. Nachdem diese aus dem Garten geholt war, fragte der Fremde sie leise, ob sie ihm einen recht grossen Gefallen thun wolle, sie solle dafür so belohnt werden, dass sie für ihr ganzes Leben an der Belohnung genug haben werde. Sie müsse sich anziehen, mit ihm fahren und bei einer Frau Gevatter stehen, unter der Bedingung aber, dass sie nicht ein Wort unterwegs spreche. Die Köchin sagte: „Guter Mann, ich vertraue Euch und will mitfahren.“ Darauf sagte der Fremde: „Aber ich muss Euch nochmals sagen, sprecht nicht, mag uns begegnen, was da will.“ Die Köchin setzte sich zu ihm in den Wagen und beide fuhren fort.

Nachdem sie einen halben Tag gefahren waren, kamen sie in einen grossen Wald; hier hielten sie endlich vor einem Schlosse, das mit einer grossen Mauer umgeben war. Sie traten an das Thor, welches der Fremde öffnete. Im Gange des Thores stand ein Riese, mit einem blanken Schwerte bewaffnet, welcher fragte: „Wo willst Du hin?„ Aber die Köchin gab keine Antwort. Darauf kamen sie an die Schlossthür, welche der Fremde öffnete. Hier standen zwei Riesen, auch mit blanken Schwertern bewaffiiet, welche einen furchtbaren Lärm erhoben und schrieen: „Wir schlagen Dich todt.“ Aber die Köchin gab keinen Laut von sich. Darauf gingen sie weiter, die Schlosshalle entlang, und kamen in einen dunkeln Gang, in welchem ein mächtiges Feuer brannte. Vor dem Feuer lag ein grosser, schwarzer Hund, welcher jeden Augenblick auf die Köchin loszufahren drohte. Der Fremde sprach: „Greife in die glühenden Kohlen und nimm so viel Du tragen kannst.„ Da griff das Mädchen in die glühenden Kohlen, ohne ihre Finger zu verbrennen, steckte sich davon die Tasche voll und füllte auch ihre grosse Schürze damit. Darauf gingen sie weiter und kamen in einen Saal, in welchem in der Mitte ein grosses Bett stand. In dem Bett lag eine Frau, welche sehr schön war, und ein kleines Kind. Die Frau war zur Hälfte eine Kröte, ihre Füsse waren Krötenfüsse. Stumm stand die Köchin da.

Da nahm der Mann das Kind; die drei setzten sich darauf in einen Wagen, welcher vor der Schlossmauer stand. Sie sprachen kein Wort und fuhren schweigend zur nächsten Dorfkirche. Hier wurde das Kind getauft, wobei die Köchin Gevatter stand. Darauf fuhren sie wieder nach dem Schlosse. Als sie hier angekommen waren, sprach der Fremde: „Jetzt ist die Erlösung erst halb: die schöne Frau im Bette ist eine Prinzessin, welche ein böser Zauberer verwünscht hat. Du musst jetzt ebenso stumm nach Hause fahren, wie Du hierher gekommen bist, dann erst ist die Eriösung vollendet. Halte nur ja Deine Schürze recht fest, damit keine Kohle herausfällt“

Das Mädchen fuhr wieder nach der Stadt, ohne ein Wort zu sprechen. Als sie zu Hause angekommen war, warf sie die Kohlen unter ihr Bett. Den Abend aber, als sie auf ihre Kammer ging, fand sie, dass ein grosser Haufen Gold unter dem Bette lag. Die Kohlen hatten sich in Gold verwandelt und die Köchin war das reichste Mädchen in der ganzen Stadt geworden. Sie hat aber nie erfahren, was aus der Prinzessin, welche sie erlöst hat, geworden ist.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880