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Der verzauberte Prinz

  bei Muskau

In einem Dorfe nicht weit von Muskau lebte einst ein Bauer mit seiner Frau und Tochter. Dem Bauer hatte eine alte Frau gesagt, wenn seine Tochter bis zur Hochzeit sich mit Niemand abgegeben und keinen Mann geküsst habe, so stehe ihr ein grosses Glück bevor. Deshalb hatte der Bauer sie stets bei sich, wenn er auf dem Felde oder sonst wo ausser dem Hause beschäftigt war. um sie nicht aus den Augen zu lassen, hatte er sie, als er einmal nach Streu fuhr, bei sich auf dem Wagen. Als er an einen sechsfachen Kreuzweg kam, sahen er und seine Tochter mit einem Male ein schönes Pferd, und zwar einen Fuchs.

Das Pferd, welches von der Mittagsseite her gekommen war, lief neben dem Wagen her, beleckte die Hand des Mädchens und sah es zutraulich an. Das Mädchen liess sich das gern gefallen. Als das Pferd das sah, sprach es zu dem Mädchen: „Versprich mir das zu thun, um was ich Dich bitte. In neun Monaten werde ich kommen und Dich holen, dann sollst Du meine Frau werden. Du darfst aber zu Niemand als zu Deiner Mutter davon reden. Wenn Du das thust, so kannst Du mich erlösen, wenn nicht, so wird es uns Allen schlecht ergehen.'' Zu Hause erzählte das Mädchen Alles der Mutter. Die war sehr erfreut darüber, der Mann aber, als er von seiner Frau Alles erfahren hatte, sehr betrübt.

Die Mutter rüstete Alles heimlich zur Hochzeit. Als die neun Monate um waren, fuhren bei dem Bauer richtig drei Wagen vor, jeder Wagen war mit vier Pferden bespannt. Aus dem einen Wagen stiegen zwei Kammerjungfern, Bediente in prächtiger Kleidung brachten Koffer und Schachteln in das Haus; die Kammerfrauen thaten das ihre und es währte nicht lange, so stand die Tochter des Bauers reich gekleidet da und harrte des Bräutigams. Dieser verliess den Wagen, als ihm gemeldet war, seine Braut sei geschmückt. Er führte sie in seinen Wagen und forderte die Eltern auf, gleichfalls einen Wagen zu besteigen. In den dritten Wagen setzte sich die Dienerschaft und fort rollten die Gespanne.

Als man in der Stadt angekommen war, fuhren die Wagen vor ein prächtiges Schloss, der Bräutigam legte schnell den Schmuck eines Prinzen an, darauf begaben sich alle in die Kirche, in welcher die Trauung des jungen Paares vollzogen wurde. Nach der Trauung war grosse Tafel, die bis an den Abend währte, dann aber wurden die Eltern der Braut aufgefordert, einen Wagen zu besteigen und wieder nach Hause zu fahren. Sie kamen auch glücklich in ihrem Dorfe an, wussten aber nicht, da ihnen Niemand davon ein Wort verrathen hatte, wo sie gewesen waren und wo ihre Tochter lebte.

Die Tochter des Bauers, welche die Frau eines Prinzen geworden war, wurde von ihrem Gemahl, als es elf schlug, in ihre Gemächer geführt. Dort verliess sie der Prinz und zeigte sich erst am nächsten Morgen wieder. In der zweiten und dritten Nacht geschah es wieder so. In der vierten Nacht konnte die junge Frau, als ihr Gemahl sie um elf Uhr in ihre Gremächer geführt hatte, nicht schlafen. Es war ihr auch, als höre sie nach Mittag zu das Gepruste und Getrampel eines Pferdes. Sie ging deshalb in die Gemächer ihres Gemahls, allein diese waren leer. Darauf ergriff sie eine Wachskerze und ging aus, ihren Gemahl zu suchen« Während der Zeit war es zwölf geworden; sobald es geschlagen hatte, horte sie das Getrampel des Pferdes nicht mehr.

Als sie weiter ging, kam sie in ein Zimmer, in welchem ihr, sobald sie es betrat, Geld entgegenrollte. Sie aber bückte sich nicht danach, und das war gut, denn es war nur eine Versuchung. Darauf kam sie in ein anderes Zimmer. In demselben sah sie neben dem Waschtisch die Kleidung ihres Gemahls auf einem Stuhle liegen, in dem folgenden Zimmer aber lag er selbst in einem Bett und schlief. Als sie ihren Gatten so schlafen sah, ging sie auf ihn zu und küsste ihn. Sogleich ertonte ein furchtbarer Krach, als ob das Schloss berste. Der junge Prinz erwachte, schloss seine junge Gemahlin, welche in Ohnmacht gefallen war, in die Arme and brachte sie zu seiner Mutter, unter deren Pflege erholte sich dieselbe bald wieder. Das junge Paar lebte fortan glücklich und zufrieden, denn der Prinz vergass nie, dass er seiner Gemahlin die Erlösung verdankte. Ein Zauberer hatte es ihm nämlich angethan gehabt, dass er in jeder Nacht einige Stunden ein Pferd sein musste. Er konnte nur durch den Kuss einer Jungfrau, welche vorher noch keinen Mann geliebt hatte, erlöst werden.

Später liess der Prinz auch die Eltern seiner Frau kommen. Er gab ihnen eine herrliche Wohnung im Schlosse, allein ihre Tochter bekamen dieselben nicht wieder zu sehen, damit ihnen diese nichts von den Vorgängen erzähle und der Zauberer nicht wieder Macht über den Prinzen gewinne.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880