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Die schöne Müllertochter

  Buschmühle

Es war einmal ein Müller, der hatte eine wunderschone Tochter. So jung diese war, hatte sie doch einem Müllergesellen, welcher bei ihrem Vater arbeitete, so gefallen, dass er sich heftig in sie verliebte. Er durfte sich aber von seiner Liebe nichts merken lassen, denn der Müller war reich, er aber sehr arm, so dass ihm dieser, wenn er auch darum gebeten hätte, seine Tochter doch nie gegeben haben würde. Es ereignete sich aber, dass die schöne Müllertochter nach dem Abendmahl, welches sie bei ihrer Confirmation genossen hatte, anfing hässlich zu werden. Bald wurde sie so hässlich, dass Niemand sie mehr ansehen mochte. Da beschloss der Müllergesell, er wolle Alles versuchen, um Rettung zu bringen. Er hatte gehört, es lebe in der Ferne ein Drache, welcher Alles wisse. Deshalb beschloss er, sich zu demselben zu begeben, um ihn zu befragen. Er erbat sich Urlaub und zog in die Ferne.

Bald kam er in ein Dorf, in welchem die Leute nur einen Brunnen hatten: das Wasser des Brunnens war so schlecht, dass man es nicht trinken konnte: da fragten ihn die Leute um Rath und versprachen ihm viel Geld, wenn er Abhülfe schaffen würde. Der Müllergesell wanderte weiter und kam an ein grosses Wasser. Hier diente ein schwarzes Männchen als Fährmann, welcher Jeden, der ihn darum ersuchte, unentgeltlich über das Wasser setzten musste. Der bat den Müllergesellen auch, er möge erkunden, warum er zu diesem Dienst verurtheilt sei. Endlich gelangte der Müllergesell zu der Höhle, in welcher der Drache hauste. Hier trat ihm eine alte Frau entgegen, welche ihn von dem Betreten derselben abzuhalten versuchte. Sie sagte, wenn der Drache heimkehre und finde ihn, so werde es sein Unglück sein. Da aber der Müllergesell inständig bat, sie möge ihm helfen, ihr auch erzählte, weshalb er gekommen sei, so erfasste sie Mitleid. Deshalb versteckte sie ihn in der Höhle. Es währte aber nicht lange, so kam der Drache heim. Er fuhr sogleich die Frau zornig an und sprach: „Was ist hier? Ich wittere Christenblut.„ Die Frau aber antwortete: „Du bist vielleicht in der Nähe von Christen gewesen, der Geruch davon ist Dir gewiss noch in der Nase.“ Der Drache liess sich damit beruhigen. Er verzehrte darauf zum Abendbrod sechs Ochsen, zwei Schafe und noch manches andere. Darauf legte er sich hin und schlief. Nach einem Weilchen riss ihm die Frau eine Feder aus. Der Drache erwachte und sprach ärgerlich: „Was störst Du mich?“ „Ach,“ sagte die Frau, „ich träumte von einer Müllertochter, welche erst so schön war, nach ihrem ersten Abendmahl aber so hässlich geworden ist, dass sie Niemand mehr ansehen mag.“ Der Drache sagte: „Das ist ganz natürlich: der Pastor hat bei dem Abendmahl die Oblate fallen lassen, die Oblate hat eine Padde gefressen, welche im Sumpfe bei der Kirche sitzt. Wenn die Padde gefangen und ihr die Oblate abgenommen wird, so wird das Mädchen seine frühere Schönheit wiedererlangen, sobald es die Oblate gegessen hat„

Der Drache schlief wieder ein; kurze Zeit darauf riss die Frau eine zweite Feder aus. Zornig fuhr der Drache jetzt die Frau an und sprach: „Was willst Du schon wieder?“ Die Frau erzählte, es habe ihr von einem Brunnen geträumt, in welchem stets schlechtes Wasser sei. Da sagte der Drache: „Das wird der Brunnen auch so lange behalten, bis die Leute die Padde, welche auf dem Grunde des Brunnens sitzt, getödtet haben werden“ Wieder schlief der Drache ein, und wieder rupfte ihm die Frau eine Feder aus. Jetzt wurde der Drache ganz wild. Die Frau aber erzählte ihm, es habe ihr von einem schwarzen, verwünschten Männchen geträumt, welches die Leute über ein grosses Wasser setzen müsse. Der Drache sagte: „Wenn das Männchen den Mann oder die Frau in das Wasser stösst, welche es des Morgens zuerst über das Wasser setzt, so ist seine Erlösung vollbracht.“ Kurze Zeit darauf schlief der Drache wieder ein.

Am andern Morgen, als der Drache wieder ausgeflogen war, entliess die Frau den Müllergesellen, nachdem sie ihm Alles berichtet hatte. Die Federn, welche sie dem Drachen ausgerissen hatte, übergab sie ihm, zum Wahrzeichen, dass er wirklich in der Drachenhöhle gewesen war. Der Gesell wusste nun Bescheid. Als er an den Fluss kam, sagte er dem Männchen, nachdem ihn dieses übergesetzt hatte, was es zu thun habe, um erlöst zu werden. Dafür erhielt der Müllergesell viel Geld. Auch die Bauern, welchen er erzählte, warum ihr Brunnen so schlechtes Wasser habe, belohnten ilm reichlich. Zu Hause endlich fing er die Padde ein, tödtete sie und nachdem er der Müllertochter Alles erzählt hatte, gab er dieser die Oblate, welche sich im Innern der Padde unversehrt vorgefunden hatte. Diese ass die Oblate. Darauf blühte sie schöner auf als je, allein noch immer erlaubte der Müller nicht, dass sein Gesell die Tochter heirathe. Neugierig aber war er doch geworden, was der Gesell Alles erlebt hatte. Er erkundigte sich deshalb bei dem Gesellen, wie seine Reise abgelaufen sei. Dieser erzählte ihm Alles, nur verschwieg er den Rath, welchen der Fährmann bekommen hatte.

Der Müller, welcher sehr habgierig war, wollte auch, wie sein Knappe, viel Geld gewinnen, darum machte er sich auf den Weg nach der Drachenhöhle. Er kam auch glücklich bis an das Wasser. Da der Müller aber der Erste war, welchen das schwarze Männchen übersetzen sollte, so stiess ihn dieses, als der Kahn eine Strecke vom Ufer fort war, in das Wasser, dass er ertrank. Das Männchen aber war erlöst. Der Müllergesell und die Tochter warteten anf die Heimkehr des Müllers: als derselbe aber nicht wieder kam, so heiratheten sie sich und wurden ein glückliches Paar.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880