<<< vorheriges Märchen | XXI. Weitere Märchen | nächstes Märchen >>>

Des Schneiders Wettstreit mit dem Riesen

  Mischen

Ein Schneider arbeitete bei einem Bauer und bekam zur Vesperzeit eine Quarkschnitte. Da er dieselbe nicht gleich ass, so setzten sich die Fliegen darauf. Er aber nahm ein Stück Zeug, schlug zu und tödtete mit einem Schlag fünfzig Fliegen. Als er das gethan hatte, dünkte er sich zu gut für sein Handwerk, nahete einen Gürtel und setzte darauf die Worte: ,,Fünfzig mit einem Schlag.“ Darauf begab er sich auf die Wanderschaft. Als er müde geworden war, legte er sich schlafen; er hatte nämlich in der Haide, in welcher er sich befand, einen passenden Ruheplatz gefanden. In dem Walde hielt sich ein Riese auf, dieser traf zufällig auf den Schlafenden: nachdem er die Inschrift gelesen hatte, bekam er grosse Achtung vor dem kleinen Mann. Er weckte ihn, und um dessen Kräfte zu erproben, bot er ihm einen Wettkampf an. Zuerst schlug er ihm vor, sie wollten Fichten ausreissen. Der Schneider meinte, das sei gar nichts, eine einzelne Fichte auszureissen, er wolle sich im Dorfe Stricke und Ketten leihen, dieselben um die Haide schlingen und so alle Fichten mit einem Male umreissen. Darauf ging der Riese nicht ein, er schlug aber dem Schneider vor, sie wollten sehen, wer einen Stein am höchsten werfen könnte. Der Schneider willigte ein, stellte aber die Bedingung, der Stein müsse so schnell und so hoch geworfen werden, dass man ihn in der Luft singen hören könnte. Der Riese warf gewaltig hoch, allein sein Stein blieb stumm und kam nach einiger Zeit wieder herunter. Der Schneider aber hatte eine Lerche gefangen. Er griff also in die Tasche, in welcher er die Lerche hatte, und warf sie in die Luft. Die Lerche stieg und stieg, und froh ihrer Freiheit sang sie ihr Lied den Wolken zu. Also hatte der Schneider gesiegt. Darauf schlug der Schneider dem Riesen einen andern Wettkampf vor. Sie wollten erproben, wer aus einem Stein Wasser drücken könnte. Der Riese ergriff einen Stein und drückte, dass die Finger knackten, allein Wasser kam nicht daraus hervor. Da nahm der Schneider einen Käse aus der Tasche. Als er denselben drückte, lief das Wasser nur so zwischen den Fingern hindurch. Also musste der Riese sich für besiegt erklären.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880