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Der Grünbart

  bei Vetschau 

Es war einmal eine Predigersfrau, die hatte drei Tochter und einen Sohn. Die Töchter waren bei ihr, der Sohn aber war weit fort in Kriegsdiensten. Eines Tages kam ein feiner, junger Mann und fragte die Wittwe, ob sie ihm ihre älteste Tochter zur Frau geben wolle. Der Fremde sprach: „Ich habe ein schönes Schloss, viele Wälder, Felder und Dörfer sind mein Eigenthum. Ich habe Eure Tochter schon öfter gesehen; sie gefällt mir, deshalb will ich sie um jeden Preis zur Frau haben.“ Da liess die Frau ihre Tochter rufen und sprach zu ihr: „Willst Du mit dem Fremden ziehen?“ Die Tochter sagte „Ja.“ Da sprach der Fremde: „In drei Tagen soll die Hochzeit sein; nach der Hochzeit fährst Du mit mir nach meinem Schlosse.“ Am dritten Tage kam der Fremde wieder, und die Hochzeit wurde gefeiert. Abends fuhr das Ehepaar nach dem Schlosse. Als die junge Frau am andern Morgen aufwachte, stand der Mann vor ihrem Bette, gab ihr zwölf Schlüssel und sprach: „Ich muss verreisen und komme in einigen Tagen wieder: in elf Zimmer darfst Du gehen, in das zwölfte aber, welches dieser Schlüssel öffnet, nicht; thust Du das doch, so musst Du sterben.“

Nachdem der Mann fort war, ging die Frau in elf Zimmer; durch das Schlüsselloch guckte sie auch in das zwölfte. Da sah sie viel Blut auf dem Boden, so dass sie heftig erschrak. Nach einigen Stunden schon kam ihr Mann zurück; die Frau zeigte eine grosse Angst. Da sprach er: „Du hast in das zwölfte Zimmer gesehen, komm, jetzt kannst Du auf immer darinnen sitzen.„ Nach diesen Worten fasste er seine Frau und zog sie an den Haaren in die dunkle Kammer hinein.

Darauf ging er wieder zu der Predigersfrau und sagte: „Deine Tochter ist krank geworden, gieb mir die andere zur Pflege mit.“ Die Mutter sprach: „Ja, meine Tochter kann mitgehen.“ Da setzte sich die Tochter zu dem Manne in den Wagen und fuhr mit nach dem Schlosse. Am andern Tage gab ihr der Mann die Schlüssel zu den zwölf Zimmern, verbot ihr aber gleichfalls, in das zwölfte Zimmer zu sehen; dann ging er fort. Indess auch sie war neugierig und guckte auch in das zwölfte Zinmier hinein: da sah sie ihre Schwester wie todt an der Erde liegen. Kurz darauf kam der Mann nach Hause. Da sie so still war, sagte er gleich: „Du hast auch in das zwölfte Zimmer gesehen, Du musst sterben.“ Darauf nahm er die Frau und sperrte sie gleichfalls in die dunkle Kammer. Dann ging er wieder zu der Predigersfrau und sagte: „Auch Eure zweite Tochter ist erkrankt, gebt mir die dritte zur Pflege mit.“ Die Frau sprach: „Meine Tochter ist zufällig nicht hier, wartet, sie kommt bald wieder, sie ist auf dem Felde; ist sie zurück, so will ich ihr Euer Anliegen sagen.“ Die Frau ging aber in die Küche, in welcher ihre Tochter war und sagte: „Mit dem Fremden ist es nicht richtig; ich glaube, Deine Schwestern sind todt. Fahre nur mit ihm und thue so, als wenn Du nichts gemerkt hättest, wir wollen einen Eilboten nach Deinem Bruder schicken, der wird Alle erretten.“ Darauf sprach die Tochter: „Gut, ich werde mitfahren; ich werde meine Schürze voll Rosen mitnehmen; unterwegs werde ich eine nach der andern fallen lassen, dann wird mein Bruder den Weg finden.“ Darauf ging die Tochter zu dem Fremden und sprach: „Lasst schnell anspannen, damit wir zu den kranken Schwestern kommen.“ Wie gesagt, so gethan. Die Tochter nahm von der Mutter Abschied und setzte sich zu dem Fremden in den Wagen. Als sie durch einen grossen Wald fuhren, liess sie von Zeit zu Zeit eine Rose fallen; endlich in der Nacht hatten sie das Schloss erreicht

Des andern Morgens sprach der Fremde: „Von hier kommst Du nimmermehr fort. Deine Schwestern sind nicht krank, sondern sie sind todt; Du brauchst Dich nicht darüber zu grämen.“ Damit gab er ihr jene zwölf Schlüssel und verbot ihr, in das zwölfte Zimmer zu gehen. Die dritte Tochter war aber klüger, als die beiden ersten, ging sogleich an das zwölfte Zimmer und rief hinein: „Schwestern, lebt Ihr noch? Mein Bruder wird Euch erlösen.“ Da rief die eine: „Ja wir leben noch, rette Du Dich nur“ Darauf verliess sie das Schloss.

Als sie aus der Hausthür trat, stand ein altes, graues Weib vor ihr und sprach: „Ach, ich Arme muss noch hier bleiben, konnte ich doch auch mit Dir fliehen, aber ich bin schon lange hier verzaubert in diesem Schlosse, ich kann nicht fort. Aber ich werde Dir helfen. Bist Du gerettet, so gedenke auch meiner.“ Darauf langte die Frau in ihre Hängetasche und nahm drei Gegenstande daraus hervor, ein Fläschchen, eine Bürste und eine Scheere. Das alles gab sie dem Mädchen und sprach: „Wenn Du aus dem Bereiche des Schlosses bist, wird Dich der Zauberer verfolgen, aber stets in einer andern Gestalt. Wirf nur Alles, was ich Dir gegeben habe, hinter Dich, wenn Du es für nothig hältst, dadurch wirst Du Dich retten.“

Die Predigerstochter war kaum eine Strecke gegangen, so verfolgte sie ein grosses Schwein. Da warf sie die Bürste hinter sich. Plötzlich war ein wüstes Dickicht hinter ihr entstanden, durch welches das Schwein sich mühsam seinen Weg bahnte. Aber das dauerte nicht lange und wieder kam das Schwein in schnellem Laufe hinter ihr her. Da nahm das Mädchen das Fläschchen und warf es hinter sich; daraus ward ein grosser See, so dass das Schwein einen langen Umweg machen musste, um zu dem Mädchen zu gelangen. Aber bald war es doch wieder in der Nähe des Mädchens. Da warf dasselbe in der Verzweiflung die Scheere hinter sich: die Scheere blieb mit dem einen Ende in der Erde feststecken, das andere Ende aber stand empor. Das Schwein lief darauf zu und ritzte sich an dem emporstehenden Ende den Bauch auf, so dass es todt zur Erde fleL

Unangefochten kam das Mädchen darauf zu seiner Mutter; dort war unterdessen der Bruder eingetroffen und hatte den Weg nach dem Schlosse genommen. Nach kurzer Zeit kam er mit den beiden Schwestern zurück. Diese erzählten, ihr Bruder habe den Grünbart und die übrigen Zauberer getödtet und viel Geld im Schlosse gefunden, welches er mitbringe. Von der Zeit an lebte die Predigersfrau mit ihren Kindern herrlich und in Freuden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880