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Die Pathenschaft der heiligen Maria

  Aus Haupt und Schmaler's wend. Liedern II. Anhang.

Es geschah aber, daß ein Mann so traurig umherging. Und er begegnete einem fremden Menschen, der zu ihm sagte: Freund, was gehst du so traurig umher? Was soll ich nicht traurig umher gehen, antwortete er, Kind taufen will ich ausrichten und Niemand will sich mehr bitten lassen, weil ich sie oft genug gebraucht habe. So bitte mich, sagte der Fremde. Da komm morgen, mein gefundener Freund! Und als er ein Stück weiter kam, begegnete er einem andern fremden Menschen, der auch zu ihm sagte: Freund, was gehst du fo traurig umher? Was soll ich nicht traurig umher gehen, antworte er, Kindtaufen will ich ausrichten, und Niemand will sich mehr bitten lassen, weil ich sie oft genug gebraucht habe. So bitte mich, sagte der Fremde. Da komm morgen, mein gefundener Freund! Und als er ein Stück weiter kam, begegnete er einer Frau, welche auch zu ihm sagte: Freund, was gehst du so traurig umher? Was soll ich nicht traurig umher gehen, antwortete er, Kindtaufen will ich ausrichten, und Niemand will sich mehr bitten lassen, weil ich sie oft genug gebraucht habe. So bitte mich, sagte die Fremde. Da komm morgen, meine gefundene Freundin. Der morgende Tag kam und zu ihm kamen der Teufel, der heilige Peter und die heilige Maria. Als sie zur Taufe gehen wollten, fing jedes an um das Kind zu streiten, bis es, weil es ein Mädchen war, zuletzt die heilige Maria erhielt. Nach der Kindtauffeier sagte sie beim Weggehen, daß sie sich nach drei Jahren ihr Pathchen holen würde. Drei Jahre verflossen, und als der bestimmte Tag gekommen war, so zog die Mutter alle Kinder auf das Schönste an und setzte sie nach der Reihe auf die Ofenbank, das jüngste setzte sie aber, weil es sehr schön war, in das Badfaß. Die heilige Maria kam in die Stube und erblickte die Schaar auf der Ofenbank sitzen. Sie fing an beim ersten Kinde zu fragen: Bist du mein Pathchen? und so nach der Reihe weiter, aber keins antwortete ihr, bis zuletzt irgendwo hinten eines zu rufen begann: Ich bin's, Pathe! Die heilige Maria suchte nun in der Stube herum und fand ihr Pathchen im Badfaß. Sie nahm das Mädchen mit und ging mit ihm in ein Schloß. Hier, mein Pathchen, sagte sie, ist unsere Wohnung. In dem Schlosse sind zehn Stuben. Neun wirst du kehren und reine halten, aber in die zehnte zu gehen, ist verboten. Du darfst weder durch das Schlüsselloch hineinseh'n, noch sie zu öffnen versuchen.

Lange Zeit verhielt sich das Pathchen nach dem Gebot der heiligen Maria, aber als diese wieder wegging, versuchte es doch, wie es in die verbotene Stube kommen könnte. Als es dies und jenes versucht hatte und ihm nichts gerieth, steckte es einen Finger in das Schlüsselloch, und siehe, wie es ihn wieder herauszog, war er goldig. Als die heilige Maria nach Hause gekommen war, fragte sie sogleich, was es mit dem Finger gemacht habe. Den jungen Gänschen habe ich Kohlstrünke geschnitten, antwortete es, und da habe ich mich geschnitten. Hierauf nahm es die heilige Maria und führte es in einen Wald hinein. Dort setzte sie es in einen Strauch und sagte: Du bist ungehorsam gewesen, daher sei stumm und komme nicht mehr in mein Schloß.

Es fuhr aber nach einer Weile ein Herr vorbei und seine beiden Hunde liefen im Walde umher und fingen auf einmal an ziemlich laut zu bellen. Der Herr sagte zu seinem Kutscher: Geh doch sehen, was die beiden Hunde so bellen. Der Kutscher ging hin und fand in einem Strauche ein sehr schönes Fräulein. Und sie bemerkten, daß sie stumm sei und nahmen sie mit heim. Und weil sie so sehr schön war, so nahm sie sich der Herr zur Gemahlin. Das wollte aber seine Mutter lange nicht zugeben und war daher sehr erzürnt über die junge Frau.

Und als diese das erste Kind geboren hatte, kam Nachts die heilige Maria, nahm das Kindlein und beschmierte ihr den Mund mit Blut. Am Morgen entdeckte man, daß das Kind weg sei, und ihre Schwiegermutter sagte, es könne nicht anders sein, als etwa, daß sie das Kind gegessen habe, und rieth ihrem Sohne, er solle sie deswegen verbrennen lassen. Weil aber dieser seine Gemahlin sehr liebte, so hatte er keine Lust dazu und sagte, sie möchten es doch noch abwarten. Und als sie das zweite Kind geboren hatte, kam auch wieder Nachts die heilige Maria, nahm das Kindlein und beschmierte ihr den Mund mit Blut. Am Morgen erblickte man dieses wieder, und ihre Schwiegermutter sagte, es könne dies gewiß nimmermehr anders sein, als etwa, daß sie das Kind gegessen habe, und rieth ihrem Sohne noch weit mehr, er solle sie deswegen verbrennen lassen. Weil aber dieser seine Gemahlin sehr liebte, so hatte er keine Lust dazu und sagte, sie möchten es doch noch abwarten. Und als sie das dritte Kind geboren hatte, kam auch wieder Nachts die heilige Maria, nahm das Kindlein und beschmierte ihr den Mund mit Blut. Am Morgen erblickte man dieses auch wieder und ihre Schwiegermutter sagte, es könne dies nun und nimmermehr anders sein, als etwa, daß sie das Kind gegessen habe.

Und sie überredete ihren Sohn, daß er den Backofen heizen und seine Gemahlin hineinstecken ließ. Das that ihm aber sehr leid und er ging nach einem Weilchen hin sehen, und siehe! seine Gemahlin saß vor dem Backofen auf einem goldnen Stuhle und hielt das aller jüngste Kind in den Armen und auf jeder Seite stand, eins von den beiden andern. Und er wunderte und freute sich über die Maßen sehr, und dies noch um so mehr, als er vernahm, daß sie sprechen konnte. Und sie erzählte ihm Alles und sagte auch, die heilige Maria wäre mit den drei Kindern zu ihr gekommen, hätte sie aus dem Backofen herausgeführt und gesagt: Du hast genug für deinen Ungehorsam gelitten; gehorche aber deinem Herrn und sei redend! Und als man dann die alte Mutter verbrennen wollte, bat sie so lange für sie, bis sie ihr verziehen. Diese liebte sie aber hierauf auch sehr.

Und sie gebar noch mehr Kinder, und die waren alle sehr schön und gehorsam. Und sie ließ ihren Eltern, Schwestern und Brüdern sagen, wo sie sei, und daß sie ihnen bisweilen Etwas schicken würde. Das war aber Allen sehr lieb und sie freuten sich, daß es ihr so gut erging.

Anmerkungen: Vergl. das deutsche Kindermährchen „Marienkind“ (Grimm I, No. 3.).

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862