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Die verschlafene Frau und ihr starker Sohn

  Aus Haupt und Schmaler's wend. Liedern II. Anhang.

Es war einmal ein Mann und eine Frau, und die Frau war sehr verschlafen. Sie trieb die Kühe auf die Weide und schlief dort ein. Als sie aufwachte, waren alle Kühe weg und sie fand sie nicht wieder. Sie kam nach Hause und ihr Mann war sehr erzürnt, er gab ihr aber wieder andere Kühe.

Sie trieb die Kühe wieder auf die Weide und schlief dort ein. Als sie aufwachte, waren alle Kühe weg und sie fand sie nicht wieder. Sie kam nach Hause und ihr Mann war wieder sehr erzürnt; er gab ihr aber doch wieder andere Kühe. Und er sagte zu ihr: wenn du wieder schläfst, so wird es dir nicht gut gehen. Sie trieb die Kühe wieder auf die Weide und schlief dort ein. Als sie aufwachte, waren alle Kühe weg und sie fand sie nicht wieder. Sie weinte sehr und fürchtete sich nach Hause zu gehen. Da lief sie in die Haide und dort begegnete ihr ein Bär. Vor dem erschrak sie sehr und wollte entfliehn, aber der Bär wurde zu einem Manne. Und er sprach zu ihr, sie solle mit ihm gehen und ihm kochen. Und sie kamen in eine Felshöhle, und sie blieb dort und kochte ihm und gebar einen Sohn.

Wenn aber der Bär ausging, so wälzte er jedesmal einen großen Stein vor das Loch. Und die Frau wollte gern heraus. Und sie erzählte dem Knaben, daß er daheim noch einen viel schönern Vater habe als der seine, und der Knabe wollte auch gern heraus. Da fing er an, den Stein aufzuheben, als er ein Jahr alt war, und hob ihn ein jedes Jahr ein Stückchen mehr. Und als er sieben Jahr alt war, wälzte er ihn gänzlich ab. Und sie nahmen viel Geld und seine Mutter sagte, sie wollten jetzt zum Vater gehn, und der Knabe ging mit. Als sie nach Hause kamen, freute sich der Vater sehr, daß er einen so starken Sohn habe und so viel Geld. Am andern Tage, Morgens früh, sagte der Vater, sie wollten in die Haide nach Holz fahren, und er hatte die Säge und Art und die Rodehacke und Alles mit. Der Knabe fragte ihn: Wozu ist das? Und der Vater sagte: Damit wir Bäume fällen. Da fing der knabe an, die Bäume mit den Wurzeln auszureißen und warf ihrer einen großen Haufen zusammen. Dann fuhren sie nach Hause, aber die Pferde konnten es nicht erziehen und blieben stehen. Da ging der Vater nach Hause und brachte zwei andere. Aber die konnten das Holz auch nicht erziehen. und der Knabe wollte sie mit der Peitsche ein wenig antreiben. Aber da erschlug er sie. Da faßte er den Wagen mit dem Holze an der Deichsel und kam im Laufe zu Hause angefahren, so daß er noch den Holzschuppen ein ganzes Stück mitnahm. Der Vater sagte zur Mutter: Du, den Jungen kann ich nicht zu Hause behalten, sonst muß Alles zu Grunde geben. Und die Mutter redete dem Sohne zu, er möchte auf die Wanderschaft gehen. Und er sagte: Ja! aber der Vater muß mir einen drei Mühlsteine schweren Stock machen lassen. Und sie machten ihm den Stock. Und er ging fort.

Als er ein Stück weiter gekommen war, erblicke er einen, welcher starke Bäume auf den Knieen zerbrach. Und er sprach: das gefällt mir. Und er fragte ihn, ob er nicht wolle mit auf die Wanderschaft gehen? und er sprach: Ja! Als sie ein Stück weiter famen, erblickten sie einen, der die Bäume mit den Wipfeln zusammen band und dann viele Bäume auf einmal umriß. Und sie sprachen: der gefällt uns. Und sie fragten ihn, ob er nicht wolle mit auf die Wanderschaft gehn? und er sagte: ja! Als sie ein Stück weiter kamen, trafen sie auf einen Berg und in den Berg ging eine eiserne Thüre. Und sie stocherten so lange an der Thüre herum, bis sich diese öffnete. Und sie gingen in den Berg hinein, und dort war ein großes Schloß und ein sehr schön gedeckter Tisch, aber nichts zu essen. Und ihnen gefiel es sonst dort.

Aber sie sprachen: Was nützt uns ein großes Schloß, wenn der Hunger darin herrscht, und beschlossen, es solle jeden Tag einer zu Hause bleiben und das Essen kochen, die andern beiden sollten aber auf die Arbeit gehen und etwas verdienen. Den ersten Tag blieb der zu Hause, der die Baumwipfel zusammen gebunden hatte. Und zu ihm kam ein kleines Männchen, das war so wunderbar gekleidet und sagte, was er hier wolle und schlug ihn, daß es gar schlimm war und sagte: Er solle sich nicht wieder sehen lassen, sonst würde es ihm noch schlimmer ergeben. Den andern Tag blieb der zu Hause, der die starken Bäume auf den Knieen zerbrochen hatte. Und als die beiden andern auf die Arbeit gingen, sagte der Geschlagene: Mir ist's gestern schlimm gegangen, aber dem wird's erst ergehen! Und zu ihm kam das kleine Männchen und sprach: Hat dich der Geier - noch da? und prügelte ihn, daß er kaum kriechen konnte und sagte zu ihm, er solle sich vor ihm nicht mehr sehen lassen, sonst folle es ihm noch schlimmer ergeben. Und den dritten Tag blieb der mit dem drei Mühlsteine schweren Stocke zu Hause. Und als die beiden andern auf die Arbeit gingen, sagten der Geschlagene und Geprügelte: Uns beiden ist es schlimm gegangen, aber dem wird es erst schlimm ergehen.

Und zu ihm kam auch das alte Männchen und sagte: Hat dich denn der Teufel - noch immer da? und wollte ihn schlagen. Aber er nahm seinen drei Mühlsteine schweren Stock und das alte Männchen erschrak und gab ihm ein blankes Schwert und sagte, daß unter dem Schlosse noch drei Schlösser wären, wo ein Drache drei Fräulein gefangen hielte. Und der Drache habe sieben Köpfe; er solle aber darnach trachten, daß er ihm den mittelsten zuerst abhiebe, dann habe der Drache keine Macht mehr. In den Berg gingen zwei Wege, einer vom Gipfel herab, der andere aber an der Seite des Berges.

Und als die andern beiden wieder nach Hause kamen, band er einen Schöpfeimer an eine lange Kette und sie ließen ihn hinunter. Und er kam in das erste Schloß und dort war ein schönes Fräulein, aber sehr verweint. Und sie winkte ihm, er solle umkehren, sonst würde ihn der Drache umbringen. Aber er fürchtete sich nicht, sondern setzte sie in den Eimer und die andern beiden zogen diesen herauf. Dann ließen sie ihn wieder hinunter. Er aber kam in das zweite Schloß. Und dort war ein noch schöneres Fräulein, aber auch sehr verweint. Und sie winkte ihm, er solle umkehren, sonst werde ihn der Drache umbringen, aber er fürchtete sich nicht, sondern setzte sie in den Eimer und die beiden Andern zogen diesen herauf. Darauf ließen sie ihn wieder hinunter. Und sie sagten, jetzt haben wir jeder eine, wer weiß, ob dort noch eine ist. Er könnte sie uns beide nehmen, wenn er jetzt herauf kommt. Wir wollen daher den Eimer umkehren, wenn wir ihn wieder heraufziehn. Als sie daher den Eimer ein Stück herausgezogen hatten, warfen sie ihn um und gingen davon. Er hatte aber unten lauter Steine hinein gethan. Und er kam in das dritte Schloß, und dort war das schönste Fräulein, die suchte dem Drachen grade Läuse, weinte dabei aber jämmerlich. Und sie winkte ihm, er folle umkehren, sonst werde ihn der Drache umbringen. Aber er fürchtete sich nicht, sondern hieb dem Drachen, der nur so Feuer gegen ihn sprühte, zuerst den mittelsten Kopf ab, daß er keine Macht mehr hatte, und dann die andern fechs. Und er nahm das Fräulein bei der Hand und ging mit ihr auf dem Wege, der zur Seite des Berges herausführte, aus dem Berge hinaus. Als sie ein Stückchen weiter kamen, gelangten sie an einen schönen Baum. Unter diesen setzten sie sich und schliefen ruhig ein und schlafen dort noch heute, wenn sie nicht aufgewacht sind.

Anmerk.: Verfasser hat bereits bei früherer Gelegenheit (N. L. Mag. 1861. S. 367) auf den hohen Werth dieses mit den Mythen der fernsten Urzeit verwandten Märchens aufmerksam gemacht. Es ist ein uralter Lenzmythos. Die verschlafene Frau ist die winterliche Erde; sie schläft ein (im Herbst) und läßt sich die Kühe, d. i. die warmen Monde stehlen. Merkur & Raub der Kühe des Phöbus hat ganz dieselbe Bedeutung. Fliehend vor dem Zorne des Gatten, den wir uns als Sonnengott vorsstellen müssen, geräth sie in die Höhle des Bären (- Gestirno), in die Dienstbarkeit des Winters. Dort aber gebiert sie einen Sohn (ihres Sonnengemahls), die Kraft der sich verjüngenden Erde, Prinz Lenz, den jungen Frühling. Dieser gewinnt nach und nach Kraft, und nach 7 Jahren, d. h. nach 7 Monden (eine oft wiederkehrende Verwechselung - 7 Monde aber datiert der nordische Winter), wälzt er den Stein der Knechtschaft ab und befreit sich und die Mutter, – Die übermüthige Jugendfraft des kecken Jünglings ergeht sich nun in mancherlei mit Humor geschilderten, an andere Märchen erinnernden Kraftproben. Der drei Mühlsteine schwere Stock tritt an die Stelle des Thorshammers.

Der Schluß ist nichts als ein anderer Lenzmythus. Die Erde ist nicht mehr die herbstliche Mutter, sondern eine heimzuführende schöne Braut, tief versteckt im unterirdischen Schlosse der winterlichen Burg, darin der Hunger herrscht. Der Winter selbst ist das einemal ein Zwerg, ein schon schwächliches Männchen; natürlich, denn es ist die Zeit schon da, wo der Frühling naht. Der Sonnensohn schwingt seine Steinwaffe. Dies bedeutet gleich dem Schwingen von Thors Hammer das erste Gewitter oder Thauwetter. Da muß der Winter klein zugeben. Bald aber kommt der Held in den Besitz eines Schwertes, des alles bezwingenden Sonnenstrahls, dringt in die drei unterirdischen Schlösser, befreit drei Jungfrauen (die Dreiheit scheint feine besondere Bedeutung zu haben; sie soll wohl nur das Nacheinander, das Allmähliche und Mühselige der Befreiung bezeichnen).

Der siebentöpfige Drache, der die dritte bewacht, ist der siebenmonatliche Winter, aber er haut ihm den mittelsten Kopf ab und der Drache verliert seine Macht, d. h. um Mitte des Winters ist die eigentliche Kraft des Winters schon gebrochen. Die beiden feigen Gefährten zeigen sich zugleich als treulose Riesen, gleich dem verrätherischen Baumeister in der nordischen Sage (vergl. I. 94). Aber trotz ihrer Ränke tritt der Sonnenheld doch mit der eroberten bräutlichen Erde an's Tageslicht auf einem unerwarteten Wege, in überraschender Weise; denn so ist der Frühling Art.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862